Predigt am 14.01.2024, Kreuzkirche Bayreuth: Hebr. 12,12-18.22-25a

Wir sind unterwegs. Die ersten 14 Tage im neuen Jahr sind schon vergangen. Erste Schritte haben wir gemacht. Wo haben sie uns hingeführt? Wer kennt den weiteren Weg? Wer bietet Orientierung in einer immer komplizierter werdenden Zeit? Auf wessen Stimme soll ich hören – unterwegs durch die Zeiten? Gottes Stimme wird laut, heute, an diesem Sonntag. Gott sei Dank! Wir hören auf den Predigttext. Es sind Auszüge aus Hebr. 12, ab V.12:

Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie

13 und tut sichere Schritte mit euren Füßen, dass nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde.

14 Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird,

15 und seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume; dass nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichte und viele durch sie verunreinigt werden;

16 dass nicht jemand sei ein Hurer oder Gottloser wie Esau, der um der einen Speise willen sein Erstgeburtsrecht verkaufte.

17 Ihr wisst ja, dass er hernach, als er den Segen ererben wollte, verworfen wurde, denn er fand keinen Raum zur Buße, obwohl er sie mit Tränen suchte.

18 Denn ihr seid nicht zu etwas gekommen, das man anrühren konnte und das mit Feuer brannte, nicht zu Dunkelheit und Finsternis und Ungewitter

22 Sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln und zur Festversammlung

23 und zu der Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten

24 und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung, das besser redet als Abels Blut.

25 Seht zu, dass ihr den nicht abweist, der da redet. Ich gehe mit euch in drei Schritten an diesem Text entlang:

  1. Unterwegsmit müden Schritten
  2. Unterwegs als wanderndes Gottesvolk
  3. Unterwegs mit klarem Ziel vor Augen

1. Unterwegs mit müden Schritten

Unterwegs auf der Reise durch das Leben. Das waren auch die ersten Christen. Die Begeisterung vom Anfang zu Pfingsten, der Elan des Aufbruchs war dahin. Stattdessen Leid, Verfolgung, Alltag. Müde sind sie geworden. Das Leben als Christ ist doch zu anstrengend, zu wenig lukrativ und inzwischen auch zu gefährlich geworden. Sie ziehen sich ins Private zurück. Sie kommen nicht mehr zum Gottesdienst oder haben schon innerlich »gekündigt«.

Wenn ich in die Gemeinden unserer Tage blicke, entdecke ich auch viele Ermüdungserscheinungen. Überall sind Klagen zu hören: über schwindende Mitgliederzahlen und rückgängige Kirchensteuereinnahmen, über nachlassendes Engagement, über die Schwierigkeit, ehrenamtlich Mitarbeitende für die Gemeindearbeit zu gewinnen. »Kirche im Rückbau« lautet eines der Schlagwörter, um mit dem Rückgang klarzukommen. Ob das der richtige Weg ist, ist durchaus Diskussionen wert, aber nicht an heute an dieser Stelle.

Doch wie ist es bei uns persönlich? Hat unser Glaubensschwung im Laufe der Jahre nachgelassen? Kommen wir deshalb vielleicht nur noch ab und zu in den Gottesdienst? Ist uns das Beten und Bibellesen noch wichtig oder doch zu anstrengend?

Erstaunlich – und damit auch ein stückweit tröstlich – solche Ermüdung, solche Verschleißerscheinungen gab es schon früh. Der Hebräerbrief spricht zu Christen, denen der Glaube auszugehen droht – wie ein verglimmender Docht. Er spricht zu Christen, die schlappmachen und zurückbleiben – wie Wanderer, die auf einer Wanderung plötzlich nicht mehr mithalten können und zurückfallen. Unterwegs mit müden Schritten- ja, wir sind noch unterwegs, aber der Glaubensweg wird mühsam und schwer. Vielleicht kennt ihr das Gefühl, zumindest phasenweise aus eurem Leben.


© Hänssler-Verlag, Holzgerlingen, mit freundlicher Genehmigung vom Autor Jörg Streng.

2. Unterwegs als wanderndes Gottesvolk

Als Christen sind wir ein wanderndes Gottesvolk, sagt uns der Hebräerbrief. Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir, auch in diesem Jahr. Uns geht es da nicht anders als dem Volk Israel. Sie mussten auf ihrer Wanderschaft durch die Wüste immer wieder schwierige Situationen durchstehen. Hunger und Durst, Angst vor Feinden waren ihre ständigen Begleiter. Wundern wir uns doch nicht, wenn es immer wieder raue Wegstrecken in unserem Leben gibt. Und kämpfen wir gegen die teuflischen Einflüsterungen: „Jetzt hat dich Gott nicht mehr lieb“ „Jetzt hat er mich vergessen“ oder: „kein Wunder, ich bin ja viel zu schlecht, darum hat mich Gott aufgegeben“ Das ist alles Unsinn. Gott bleibt dir zugewandt. Er liebt dich! Und er ist bei Dir, gerade auch in den dunklen Wegstrecken: und ob ich schon wanderte im dunklen Tal, so fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir! Das gilt, ganz unabhängig von deinen Gefühlen.

Und vielleicht haben wir tatsächlich ein falsches Gottesbild, wenn wir denken, Gott hat immer für unser Wohlbefinden zu sorgen. Das hat er nicht. Sein Auftrag und sein größtes Anliegen ist es, uns an das Ziel zu bringen. Und das ist nun mal kein Zuckerschlecken. Also: es ist gut, wenn wir nicht immer gleich geistlich aus den Pantinen kippen, wenn es schwer wird. Das Volk Israel hat es doch auch erlebt mitten in allen Wirren und Widerständen: Gott hat sie geführt. Er hat sie durchgetragen. Er hat für sie gesorgt. Er hat sie gestärkt und ihnen Mut gemacht. Auch dort am Berg Sinai. Dort ist er selbst ihnen erschienen und hat zu Israel geredet. Er hat ihnen die Gebote für ein Leben in Freiheit gegeben – als Wanderregeln. Es ist Gottes Wegweisung für das wandernde Gottesvolk.

Auch wir Christen sind mit hineingenommen in diese Wanderschaft. Wir sind von Gott angesprochen, von ihm versorgt und gestärkt. Wir sind mit ihm und anderen unterwegs, auch dann, wenn es durch Durststecken geht, wenn bei mir Müdigkeit aufkommt, wenn ich zurückzufallen drohe.

Macht doch die Augen auf, ruft uns der Hebräerbrief zu: Ihr seid umgeben von einer Wolke von Zeugen für Gottes Gnade. Die Väter Israels, Abraham, Jakob, Mose, David, die Propheten gehören dazu, bis hin zu den Vätern des Glaubens heute. Diese Wolke der Zeugen begleitet uns auf unserer Wanderschaft und stärkt uns. Sie bezeugen uns die Treue Gottes. Ihre Worte und Taten geben uns Orientierungshilfe für unseren Glauben. Sie sind Wegweiser auf unserem Lebensweg hin zu Jesus Christus.

Zudem ist es Jesus selbst, der für uns Christen Orientierung, aber auch Mut und Zuversicht gibt. Jesus ist der, der alle Müden und Beladenen zu sich ruft. Er will sie erquicken, stärken, ihnen aufhelfen, sie wieder heranführen, wenn sie zurückgefallen sind. Jesus ruft uns zu: Ich greife dir unter die Arme. Ich helfe dir wieder auf die Beine. Lass mich nur machen, dann machst du nicht schlapp. Dann bleibst du auf dem Weg des Glaubens und bleibst voll bei der Sache.

Nicht ohne Grund nennt der Hebräerbrief kurz zuvor Jesus Christus den Anfänger und Vollender des Glaubens. Wir können uns nicht selbst neuen Mut und Zuversicht, neues Vertrauen und neue Hoffnung geben. Dies schenkt uns Jesus Christus. Er stattet uns aus, damit wir neue Schritte gehen können.

Nur so werden die Ermahnungen des Predigtwortes für unsere Wanderschaft verständlich und aktuell: »Stärkt die müden Hände und die wankenden Knie und macht sichere Schritte mit euren Füßen, damit nicht jemand strauchle.«

Wenn wir nur auf unsere eigene Kraft setzen, dann werden wir immer müder und beginnen zu stolpern und zu straucheln. Wo wir aber auf Christus blicken, uns von ihm Orientierung geben lassen, auf seine Stimme hören und auf seine Kraft vertrauen – da können wir mutig voranschreiten mit weit ausholenden Schritten und gestärkten Knien.

Und wir können auf unserem Weg auch die mitnehmen, die neben uns herstolpern, die lustlos dahintrotten, die resigniert nur auf ihren Weg starren. Als Christen sind wir miteinander auf der Wanderschaft. Wir brauchen einander. Darum ist es so wichtig, dass wir Gemeinschaft fördern auch hier in der Kreuzkirchengemeinde. Darum ist es so wichtig, dass wir nach denen schauen, die zu vereinsamen drohen. Und darum ist es aber auch wichtig, dass wir als Einzelne nicht im Selbstmitleid versauern, sondern immer wieder selbst auch aktiv tätig werden, um Teil der Gemeinschaft zu bleiben.

Bleiben wir im Bild der Wanderschaft: Freude erlebt eine Wandergruppe, wenn man gemeinsam unterwegs ist, die frische Luft und den herrlichen Ausblick genießt, wenn gute Gespräche geführt und wenn auch miteinander gelacht wird. Aus solcher Freude heraus entsteht in einer Wandergruppe wie von selbst auch die Verantwortung füreinander. Der am Fuß Verletzte wird gestützt, dem Schwächeren wird das Gepäck abgenommen, dem Langsamen gesellt sich ein Begleiter zur Seite. Gemeinsames Erleben führt in die Verantwortung für den anderen.

So verhält es sich auch in der Wandergruppe »Gemeinde«: Da werden uns die Augen geöffnet, dass wir Schwache unter uns haben, die wir stützen müssen, denen wir eine Last abnehmen müssen. Da nehmen wir Menschen wahr, deren wir uns besonders annehmen müssen. Nur so
erreichen wir als wanderndes Gottesvolk unser Ziel.
Gemeinschaftliches Wandern macht Freude und es macht bereit zur Verantwortung für die Müden unter uns. Und dazu gehört jeder von uns mal. Keiner ist nur immer stark. Manfred Siebald singt:

Keiner, der nur immer jubelt;
Keiner, der nur immer weint.
Oft schon hat uns Gott in unsrer
Freude, unsrem Schmerz vereint.
Keiner trägt nur immer andre;
Keiner ist nur immer Last.
Jedem wurde schon geholfen;
Jeder hat schon angefasst.

Gut, dass wir einander haben, gut, dass wir einander sehn,
Sorgen, Freuden, Kräfte teilen
Und auf einem Wege gehn.
Gut, dass wir nicht uns nur haben,
Dass der Kreis sich niemals schließt
Und dass Gott, von dem wir reden,
Hier in unsrer Mitte ist.

Haben wir also keine Scheu, anderen im Namen Jesu wieder auf die Beine zu helfen. Kümmern wir uns um einen Glaubensmüden in der Gemeinde, um einen vom Zweifel Geplagten. Schauen wir dabei auf Christus, der uns selbst aufgehoben und gestärkt hat und der dich jetzt dazu gebrauchen will, einen anderen aufzurichten und mitzunehmen auf den gemeinsamen Weg. Keiner soll auf der Stecke bleiben. Keiner soll verloren gehen. Keiner soll herausfallen aus dem wandernden Gottesvolk, auch der letzte nicht. Nur gemeinsam erreichen wir das Ziel.

Und wenn einer einmal abhängt und zurückfällt, ruft ihn Jesus zurück in die Gemeinschaft mit ihm. Er gibt uns täglich die Chance, auf seinen Wegen zu bleiben, seinen Willen zu tun und ein Leben nach seinem Willen zu führen.

3. Unterwegs mit klarem Ziel vor Augen

»Den Herrn sehen« – das ist das Ziel für das wandernde Gottesvolk.

Wieder fällt mir das Beispiel der Wandergruppe ein. Es wandert sich schwer, wenn man nicht weiß, wo das Ziel der Wanderung liegt. Da steigt dann langsam die Angst auf, man erreicht das Nachtquartier gar nicht mehr. Und umgekehrt: welch ungeahnte Kräfte werden selbst bei müden Wanderern frei, wenn das Ziel klar ist und ein lohnendes noch dazu: ein Berggipfel mit herrlicher Aussicht oder ein warmes Bett für die Nacht auf einer Berghütte. Der müde Wanderer stellt sich das Wanderziel in Gedanken vor. Er malt sich das Ziel aus. Und dies gibt ihm Kraft durchzuhalten. Wer um das Ziel weiß, der hat Kraft zum Wandern – und Freude schon auf dem Weg.

Wir – das wandernde Gottesvolk – haben ein klares Ziel vor Augen, und darum auch Kraft für unterwegs, und Freude schon auf dem Weg. Jedes Mal, wenn wir miteinander Gottesdienst feiern, ist das Vorfreude auf dem Wanderweg hin zur Herrlichkeit in Gottes Reich. Wir sind längst umgeben von Gottes Barmherzigkeit in Jesus Christus. Wir leben schon heute in Gottes Reich und gehen auf dessen Vollendung zu.

Der Hebräerbrief beschreibt das uns in unserem Text in leuchtenden Bildern: »Ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln, und zu der Versammlung und Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung, das besser redet als Abels Blut.«

Dorthin gehören wir als gläubige Christen. Dort ist unser ewiger Standort und unser herrliches Ziel: der Zion und das himmlische Jerusalem, die zukünftige Stadt, die wir suchen. Dort herrscht vollkommene Freude und Geborgenheit. Dort ist unsere himmlische Heimat. Dort werden wir erwartet. Dort werden wir endlich Gott sehen, den Gott, der auch unser Richter ist. Auch unser Leben muss vor dem Richterstuhl Christi offenbar werden und wir tragen Verantwortung für unser Leben, für unser Tun und Lassen. Aber vor Gott sind wir durch Jesus Christus gerecht gemacht und gerecht gesprochen. Christus hat das Urteil für uns auf sich genommen. Er ist der Mittler des neuen Bundes. Er hat uns den Himmel vermittelt. Er hat uns mit seinem Tod, mit seinem Blut am Kreuz den Weg in den Himmel geöffnet. Mit seinem Blut hat er Versöhnung und Frieden gestiftet. Christi Blut schreit nicht nach Rache wie Abels Blut, sondern ist viel besser: Es schreit nach Vergebung und Versöhnung. So wird auch unter uns Versöhnung und Neuanfang möglich.

Ja, mit diesem Ziel vor Augen erhalten wir Kraft und Stärke für unsere Wanderschaft. Mit diesem Ziel vor Augen werden wir aber auch in die Verantwortung für andere genommen, die müde sind und im Glauben und Leben Mühe haben.

Lasst uns alle miteinander weiterwandern, unterwegs im Fluss der Zeit, mit gestärkten Knien und mutigen Schritten. Amen.



Verfasser: Pfarrer Friedemann Wenzke, Dr. Martin Luther Str. 18, 95445 Bayreuth, Tel: 0921/41168; E-Mail: friedemann.wenzke@elkb.de