Predigt am Sonntag 14.05.2023, Kreuzkirche Bayreuth: 1. Tim. 2,1-6a

Liebe Gemeinde,

in Surinam haben sich Christen einen Gebetsplatz im Wald gesucht, weil ihre Hütten nur aus einem einzigen Raum bestehen und sie so kaum Ruhe haben. Dort gehen sie täglich hin, um dort in der Stille allein mit Gott zu reden. Die Gebetswege aus den verschiedenen Hütten zu diesem Platz sind mit der Zeit wie ausgetretene kleine Pfade.

Eines Tages sagt ein Eingeborener zu seinem Nachbarn ganz liebevoll: „Du auf deinem Gebetsweg wächst langsam das Gras!“ Ein vorsichtiger und fürsorglicher Hinweis darauf, dass der gute Nachbar wohl in der Gefahr besteht, das Gebet etwas zu vernachlässigen.

Ganz ähnlich fragt uns heute der Apostel Paulus: Wie sieht denn unser Gebetsweg aus? Wächst da auch schon so allerhand? Haben wir ihn schon lange nicht mehr betreten? Paulus macht heute das Gebet zum Thema. Wir denken da ja schnell an unser persönliches Gebet. Paulus geht es heute aber auch um das Gemeindegebet und zeigt uns hier eine erstaunliche Weite auf. Eine Weite, die unserem Gebetsleben ganz neue Impulse geben kann:

Hören wir auf den Predigttext für den heutigen Sonntag „Rogate“: 1. Tim. 2, 1-6a:

(1) So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen,
(2) für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.
(3) Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserem Heiland,
(4) welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zu der Erkenntnis der Wahrheit kommen.
(5) Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus,
(6) der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung.

Paulus beginnt sein Anliegen so, dass wir in Gefahr stehen, schnell die inneren Rollläden runterzulassen und unsere Ohren auf Durchzug zu schalten. „So ermahne ich euch nun...“ Wer von uns lässt sich schon gern ermahnen? Und das am Sonntagmorgen, wo man doch vielleicht mit einem ganz anderen Bedürfnis hier in die Kirche gekommen ist! Mit dem Bedürfnis nach Ruhe, nach Trost, nach Kraft. Und nun eine Ermahnung!

Aber Paulus schwingt hier nicht die moralische Keule. Er redet nicht mit erhobenem Zeigefinger. Das neutestamentliche Wort, das Luther mit „ermahnen“ übersetzt, hat eine breite Bedeutungsfülle: es kann mit: einladen, zu Hilfe rufen, aufrufen, ermahnen, bitten, trösten, ermuntern übersetzt werden. Paulus redet in einer seelsorgerlichen Haltung. Ihm tut es weh, dass Christen zu allen Zeiten in der Gefahr bestehen, etwas ganz Großes zu verpassen. Das treibt ihn um. Er will nicht, dass wir in unserem Christenleben zu kurz kommen.

Denn er beobachtet schon in den ganz frühen christlichen Gemeinden: Das Gebet ist zwar die größte Möglichkeit des Menschen, aber es nimmt oft den kleinsten Raum in ihrem Tun ein. Das Gebet ist zwar die schönste Pflicht der Glaubenden, aber sie wird meist am schlechtesten erfüllt.

Paulus nimmt wahr: Es ist viel leichter, in der Arbeit treu zu sein, als im Gebet. Wie viel Kraft und Ausdauer braucht oft das Gebet. Und selbst, wenn wir als Christen glauben, dass das Gebet am meisten bewirkt, leben Christen zu allen Zeiten oft so, als ob ihr Wirken und ihre Arbeit am meisten ergibt und nicht das Gebet.

Paulus will uns das Gebet neu schmackhaft machen und behauptet deshalb: Das Gebet ist das Wichtigste im Leben eines Christen.

(7) So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen.

Vor allen Dingen – damit setzt Paulus eine Rangfolge. D.h. heißt doch: so wichtig und nützlich vieles andere auch ist, das Wichtigste ist das Gebet. Das Wichtigste im Leben eines Christen und einer Gemeinde ist das Gebet. Einer meiner früheren Dekane hat mir zum Abschied aus meiner Gemeinde auf eine Karte unter anderem den Satz geschrieben: „Seien sie ein betender Pfarrer“. Daran muss ich immer wieder wieder denken. Und schon die alten Mönche haben gesagt: Ora et labora: bete und arbeite. Und dies ganz bewusst in dieser Reihenfolge. Zuerst das Gebet, dann die Arbeit.

Außerdem gibt es einen Spruch von Martin Luther, der mich, seitdem ich ihn mal gelesen habe, nicht mehr loslässt und oft auch sehr herausfordert. Er lautet: „Heute muss ich viel arbeiten, darum muss ich heute viel beten (2x).“ Bei mir ist das oft anders: Wenn der Kalender voll ist von Terminen und eine Sitzung die andere jagt von morgens bis abends, dann bin ich oft im Gebet sehr kurz angebunden. Die Arbeit scheint wichtiger und nimmt mich ganz in Beschlag. Vielleicht kennen Sie das ja auch von sich. Und das muss gar nicht immer der Beruf sein, das kann auch Haus und Hof sein.

Ganz anders Paulus: „dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen“. Vor allen Dingen: Diese Worte sprechen für sich.

Erstaunlich aber auch, mit welcher Weite Paulus vom Gebet spricht. Da ist zunächst die Bitte. Das ist die Form des Gebetes, die uns wahrscheinlich am nächsten steht: „Mein Gott, hilf mir jetzt!“ Oder: „Gott, wenn es dich gibt, dann mach doch...“ Oder: „Herr, lass doch das nicht geschehen!“ so lauten oft Bitten. Und oft sind sie auf uns und unser persönliches Wohlergehen gerichtet. Dessen brauchen wir uns auch nicht zu schämen. Man darf als Christ auch an sich selbst denken. Wir brauchen uns vor Gott mit unseren Wünschen und Bedürfnissen nicht verstecken.

Paulus aber denkt universal: Bitte und Gebet für alle Menschen. So weitreichend soll unser Gebet sein. Alle Menschen sollen darin Platz haben. Das Gebet soll keine egoistische Veranstaltung bleiben. Christliches Gebet und besonders das Gebet der Gemeinde hat immer auch die anderen im Blick. Eine Gemeinde, die nur für sich selber betet, betet verkehrt. Gemeinde, die sich nur um sich selber dreht, hört auf, Gemeinde zu sein. Sie hört auf, Salz der Erde und Licht der Welt zu sein. Denn sie vernachlässigt etwas Wesentliches, nämlich: Fürbitte, also für jemand anderen zu beten.

Hören wir: wir sollen „für“ und nicht „gegen“ etwas oder jemanden beten. Betet für und nicht gegen! Auch nicht gegen deine Feinde und Widersacher und politische Despoten. Wie das Vaterunser darf auch unser Fürbittgebet weltumspannend sein, nicht nur auf unserer Kirchengemeinde, unsere Stadt und unser Land beschränkt. Alle Menschen sollen in dem, was wir erbitten, eingeschlossen sein. Das schließt nicht aus, dass wir für konkrete Menschen in konkreten Situationen beten. Hat nicht jedes Häuschen sein Kreuzchen und jedes Dach sein Ach? Ich erlebe es so als Pfarrer und Seelsorger.

Vielleicht denken jetzt manche unter uns: Warum muss ich denn Gott extra sagen, was mit meinem Nachbarn los ist? Ist denn ein Haus in unserem Dorf und in der ganzen weiten Welt, wo er die Not nicht weiß? Alles richtig, Gott weiß viel mehr als wir ahnen! Und doch wartet Gott darauf, dass wir füreinander bitten. Er will unser Eintreten für die Not des anderen haben. Für mich ist das immer wieder eine erstaunliche Entdeckung: denn in der Fürbitte wird mir deutlich, wie viel Verantwortung Gott mir zutraut. Und wie ernst er mich und mein Gebet nimmt. Gott will, dass ich mit meinem Gebet diese Welt mitgestalte, auch in Bereichen, in denen ich eigentlich keinen unmittelbaren Einfluss habe. Gott will von uns Christen eben nicht, dass wir weltfremd und fromm abgehoben leben. Er hat uns in diese Welt und Zeit gestellt, um sie betend und arbeitend mitzugestalten.

Paulus nennt bei der Fürbitte auch ausdrücklich die Obrigkeit, also das Gebet für die Regierenden.

Das war zur Zeit des Paulus deutlich mehr verlangt als heute, selbst wenn wir vielleicht auch heute mit manchen Politikern und Entscheidungen nicht einverstanden sind. Auch hier im Bereich der Politik geht es um Fürbitte, nicht um „Gegenbitte“. Uns geht es heute vielleicht manchmal an den Geldbeutel bei manchen politischen Beschlüssen, den Christen damals aber ging es an den Kragen. Wir müssen bezahlen, aber nicht mit dem Leben. Die Christen damals wurden wegen ihres Glaubens verfolgt. Da kostet es schon Überwindung für die Regierenden zu beten. Heute haben wir es da deutlich besser und darum sollte es auch leichter fallen, für die Politik unseres Landes zu beten.

Der Theologe Karl Barth hat mal den Satz gesagt: „Hände falten im Gebet ist der Anfang des Aufstandes gegen die Unordnung der Welt“. Das heißt doch: Gebet kann viel verändern. Gebet und besonders Fürbitte heißt nicht: die Hände in den Schoß legen und zu allem „Ja und Amen“ sagen. Nein, hier wird eine Macht ausgeübt. Die Macht des Gebetes. Deshalb machen wir Friedensgebete seit dem der Ukrainekrieg tobt. Deshalb beten wir für verfolgte Christen. Mit dem Gebet und der Fürbitte hat Gott uns ein Werkzeug in die Hand gegeben, das die Welt verändern kann. Was für eine Auszeichnung und Wertschätzung, die wir da von Gott erfahren. Gebete sind nicht nur Mundwerk, sie sind Handwerk der Christen in dieser Welt.

Und schließlich redet Paulus in unserem Abschnitt noch von der Danksagung. Dieser Rat steht bestimmt nicht zufällig am Ende. Das ist wie eine Steigerung: von der Bitte zur Fürbitte zum Dank. Und es heißt sicher nicht von ungefähr: Dank-sagung. Das ist noch mehr als Dankbarkeit. Man kann dankbar sein gegenüber Gott und Menschen – aber sagen wir auch diesen Dank? Wann haben wir unserer Frau/ unserem Mann, unseren Eltern oder Verwandten und Freunden zuletzt ein sichtbares und hörbares Dankeschön gegönnt? Heute ist Muttertag. Klar, der Dank an die Mutter sollte nicht an einen bestimmten Tag gebunden sein. Aber dennoch ist heute ein guter Tag, der Mutter, aber auch der Ehefrau mal von Herzen zu danken. Auch wir als Kirchengemeinde haben das symbolisch machen: jede Frau hat heute von der Kirchengemeinde ein kleines Geschenk bekommen: dieses Schokoherz. Weil wir dankbar sind für unsere Frauen und Mütter. Auch hier in der Gemeinde! Dank verändert, auch das Miteinander in der Gemeinde. Dank verändert sehr viel im menschlichen Miteinander. Man schätzt sich mehr und freut sich aneinander.

Und ich glaube, dass das nicht zu menschlich gedacht ist, wenn wir das auch auf unser Gottesverhältnis übertragen. Warum soll Gott als unser Vater sich nicht auch freuen, wenn wir ihm „danke“ sagen? Warum soll das nicht auch unser Verhältnis zu Gott vertiefen, wenn wir ihm Dank sagen für so vieles, womit er unser Leben reich beschenkt?

Am Beginn dieser Predigt haben wir von dem Christen in Surinam gehört, auf dessen Gebetsweg langsam das Gras wächst. Vielleicht haben wir durch die Worte des Paulus auch bei uns allmählich das Gras wachsen hören und sehen auf unserem Gebetsweg. Haben erkannt wie weit weg wir zuweilen von einem solchen Gebetsleben sind, wie Paulus es schildert. Mir jedenfalls geht es in der Beschäftigung mit diesem Text so.

Aber hoffentlich haben wir auch die großen Verheißungen gehört, die auf dem Gebet in seinen verschiedenen Ausdrucksformen ruhen. Im Gebet können wir unsere persönlichen Anliegen vor Gott bringen. Im Gebet können wir Gemeinde bauen. Im Gebet können wir diese Welt maßgeblich mitgestalten. Im Gebet können wir unsere Beziehung zu Gott vertiefen.

Liebe Gemeinde, Jesus Christus hat dem Gebet große Zusagen gegeben. Es ist Gott eine Freude, wenn seine Gemeinde im Gebet eins ist und gemeinsam betend vor ihm steht. Machen wir uns neu auf den Gebetsweg als einzelne und als Gemeinde. Amen.

Verfasser: Pfarrer Friedemann Wenzke, Dr. Martin Luther Str. 18, 95445 Bayreuth, Tel: 0921/41168; E-Mail: friedemann.wenzke@elkb.de