Predigt am 12.03.2023, Kreuzkirche Bayreuth: Lk. 22, 47-52

Liebe Gemeinde,

wir haben es heute mit einer Geschichte aus finsterer Zeit zu tun – so eine richtige Passionsgeschichte. Ich habe sie diese Woche mit meinen Schülerinnen und Schülern der dritten und vierten Klasse behandelt. Und mit den Senioren von der Tagespflege. Und alle konnten sich hineinversetzen. Haben die Einsamkeit greifen können, die Jesus erlebt hat. Haben das geistliche Ringen nachempfunden, dass Jesus durchlebt hat. Und haben teilweise die schmerzliche Erfahrung teilen können: selbst auf die besten Freunde ist in der Not kein Verlass. Und dann geht alles ganz schnell und die Lage spitzt sich dramatisch zu. Ach ja, eine richtige Passionsgeschichte ist das. Aber von welcher Geschichte rede ich? Wer kann es erraten? ---- Jesus im Garten Gethsemane und Jesu Gefangennahme steht oft als Überschrift über den Versen. Es ist wieder einer der neu aufgenommenen Predigttexte.

»Als er aber noch redete« – so beginnt der Predigttext. Es ist Nacht. Jesus ist niedergeschlagen. Gemeinsam mit seinen Jüngern war er in den Garten Gethsemane gegangen. Wir müssen uns diesen Garten wie einen großen Park vorstellen, so ähnlich wie die Eremitage. Jesus spürte: Die Schlinge um ihn zog sich langsam zu. Er hatte gebetet und mit seinem Vater um den richtigen Weg gerungen. Seine drei engsten Freunde hatte er mit sich genommen, damit sie mit ihm wach bleiben und beten. Aber sie schliefen ein. Auch die Jünger merkten: Die Finsternis legte sich langsam um sie. Dann aber kommt plötzlich Bewegung in die Szene. Nicht dass es damit besser würde, eher dramatisch – aber zumindest das Warten hat ein Ende.

Als er aber noch redete, siehe, da kam eine Schar; und einer von den Zwölfen, der mit dem Namen Judas, ging vor ihnen her und nahte sich Jesus, um ihn zu küssen.
48 Jesus aber sprach zu ihm: Judas, verrätst du den Menschensohn mit einem Kuss?
49 Als aber, die um ihn waren, sahen, was geschehen würde, sprachen sie: Herr, sollen wir mit dem Schwert dreinschlagen?
50 Und einer von ihnen schlug nach dem Knecht des Hohenpriesters und hieb ihm sein rechtes Ohr ab.
51 Da sprach Jesus: Lasst ab! Nicht weiter! Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn.
52 Jesus aber sprach zu den Hohenpriestern und Hauptleuten des Tempels und den Ältesten, die zu ihm hergekommen waren: Ihr seid wie gegen einen Räuber mit Schwertern und mit Stangen ausgezogen?
53 Ich bin täglich bei euch im Tempel gewesen, und ihr habt nicht Hand an mich gelegt. Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.

Da schlägt sie zu, die Macht der Finsternis. Und Petrus lässt sich mit hineinziehen. Keiner von uns ist sicher davor. Das Böse hat einen Sog nach unten. Petrus, der gerade noch geschlafen hat, ist froh, jetzt endlich was tun zu können. „Ich muss doch irgendetwas tun! Zum Nichtstun verdammt zu sein, während die Welt zu Bruch geht – das halte ich nicht aus“, dachte er sich. Aber rettete er damit die Situation? Nein! Jesus war damit ganz und gar nicht einverstanden. Jesus wollte nicht auf Gewalt mit Gegengewalt antworten. Er heilte das Ohr des Soldaten wieder. Meine Schülerinnen und Schüler haben diese Woche allen Ernstes überlegt, ob es einfacher ist, ein neues Ohr aus dem Kopf wachsen zu lassen oder das abgetrennte wieder zu befestigen. Kindergedanken. Sie kamen zu keinem medizinisch befriedigenden Ergebnis. Das hat mich nicht gewundert bei dem Wunder was da geschehen ist. Mitten in der zuschlagenden Macht der Finsternis ist die noch größere heilende Macht unseres Heilandes da. Mitten in den großen Dunkelheiten deines und meines Lebens ist immer noch eine andere Kraft da: die Kraft und Macht unseres Heilandes. Daran festzuhalten ist ein Ringen. Und strengt unendlich an.

Gerade weil die Macht der Finsternis deswegen nicht aufgibt. Sie kämpft weiter. Sie wird fies und hinterlistig. Sie küsst, diese Macht der Finsternis! Im Gewand der Freundschaft kommt sie daher. Judas heißt der Jünger, der Jesus verrät. Er hatte sich weggeschlichen von den anderen. Er hatte den Hohepriestern und Hauptleuten gesagt, wo sie diesen Jesus ergreifen könnten. Nicht öffentlich, sodass es Aufregung gegeben hätte. Nicht im Tempel, nein. Sondern: heimlich, nachts, abseits. Steckbriefe gab es damals noch nicht. Auch keine Fotos. Also wussten die Soldaten nicht, wen sie hätten ergreifen sollen. Man musste ein Erkennungszeichen ausmachen. Das Erkennungszeichen war ein Kuss. Wie gemein! Welche Verdrehung. Der Kuss als Zeichen der Liebe wird verdreht zu einem Zeichen des Verrats. Die Finsternis und der Teufel bringen alles durcheinander, auch hier. Und Jesus, wie regiert er?

Muss er nicht maßlos enttäuscht gewesen sein von seinem Freund, dem Jünger Judas?! Jeder, der schon mal von einem Freund hintergangen worden ist, kennt dieses Gefühl: diese Scham, diese Schande, diese Fassungslosigkeit. Das kann doch nicht sein! Nicht der, der doch nicht! Der wird mich doch nicht betrügen. Der wird mir doch nichts antun! Wir haben uns doch mal geliebt! Manch eine Ehe, manch eine Beziehung zwischen Kindern und Eltern führt in die bittere Erkenntnis: Der oder die andere hatte schon längst andere Pläne. Aus Liebe ist im Laufe der Zeit Gleichgültigkeit und dann Untreue und im schlimmsten Fall Hass geworden. Hass, der in Gewalt umschlagen kann. Das ist alles nicht weit weg. Allein in dieser Woche: Acht Tote in Hamburg durch einen Attentäter. Ein 20- jähriger bringt in Thiersheim seine Mutter um.
Hintergangen wird vor allem da, wo man sich gut kennt: in der Familie, unter Freunden, unter
Vereinskameraden – ja auch unter Christen. Schrecklich!

Nicht so Jesus. Er fragt bei Judas offen nach »Verrätst du den Menschensohn mit einem Kuss?«, heißt es in unserem Predigttext. Das klingt eher niedergeschlagen, verletzt und enttäuscht. Es klingt nicht wehrhaft, standhaft und wütend. So wird auch der Hieb mit dem Schwert von Jesus nicht gutgeheißen. Nein, keine Gewalt. Kein Fight. »Nicht weiter!« Im Gegenteil: Jesus heilt das abgeschlagene Ohr. Ein kleiner Lichtblick in dieser Finsternisgeschichte. Unser Predigttext endet ja mit den Worten: »Aber dies ist eure Stunde und die Macht der Finsternis.«

Liebe Gemeinde, war es das? Gibt es heute nicht noch mehr zu sagen? Manchmal hatte ich im Laufe dieser Woche den Eindruck, ich muss hier Schluss machen. Soviel Not ist mir in den letzten Tagen begegnet. Soviel Trauer. Soviel Schmerzen. Soviel Angst. Das kann einen schon mal verstummen lassen.

Aber dann bin ich an dem Namen des Sonntags heute hängen geblieben: Der Sonntag heute heißt OKULI. Er zitiert damit auf Latein einen Vers aus dem Psalm 25: »Oculi mei semper ad Dominum.« Übersetzt heißt das: »Meine Augen sehen stets auf den Herrn.«

Wenn wir hier auf Jesus in unserem Predigttext schauen, sehen wir Jesus als Gottessohn an einem Tiefpunkt seines Lebens. Gottes Sohn wird nichts erspart – auch der Verrat nicht. Trotzdem bleibt Jesus ruhig. Er nimmt die Situation an, so wie sie ist. Er will nicht auch noch seine Jünger in Gefahr bringen. Er weiß für sich selbst, dass er diesem Weg folgen muss – die anderen aber sollen frei sein.

Auch wir wissen manchmal ganz genau, dass wir diese schwierige Lebenssituation oder Lebensphase jetzt durchleben müssen. Auf Jesus schauen heißt in Situationen, die Du sowieso nicht ändern kannst oder nicht ändern sollst, weil da gerade Gottes Willen in deinem Leben geschieht: eine schwierige Situation aushalten zu können. Nicht dreinzuschlagen. Keinen Gegenangriff zu planen. Der Finsternis äußerlich tatsächlich ihre Macht zu lassen – oft bleibt uns ja gar nichts anderes übrig. Aber ihr trotzdem innerlich nicht zu folgen mit Hass und Gewalt, sondern die Augen auf Jesus zu richten und ihm zu folgen. Jesus ist das Licht, das letztlich nicht verlöschen wird. Im Gegenteil. Strahlend wird es aufgehen am Ostermorgen. Wir wissen das – die Jünger wussten das nicht. Sie konnten nur ihr Vertrauen auf Gott setzen, dass er es schon richtig machen würde – und sie mussten warten und durch viel Angst und Trauer hindurchgehen, bis ihr Vertrauen belohnt wurde. Wir aber haben immer schon den Osterhorizont.

Wir erleben es immer wieder, dass die Finsternis Macht hat und Macht ergreift: Im persönlichen Leben und auf der politischen Bühne, im Beruf und in der Wirtschaft, selbst in der Wissenschaft – in unserer Welt kann fast alles sowohl dem Guten als auch dem Schlechten dienen. In den letzten Jahren kann man schon den Eindruck haben, dass die Finsternis immer mehr Macht bekommt, so wie eine Krise die andere jagt. Ja noch viel mehr: wie viele Krisen wir parallel haben.

Und doch: wenn wir die Augen auf Jesus richten, dann setzen wir den finsteren Mächten mindestens innerlich etwas entgegen. Dann blicken wir auf Jesus, unseren Retter und Heiland. Dann verlieren wir das Schlimme nicht aus den Augen, aber wir fixieren uns nicht darauf. Dann blicken wir auf Jesus, allen Umständen zum Trotz. Ich gebe zu: Das kommt uns manchmal ziemlich wenig vor. Und auch machtlos. Aber es ist unsere einzige Rettung. Schauen wir also nicht nur auf Nachrichten oder Krankheitsdiagnosen und lassen uns davon runterziehen – sondern schauen wir auf Christus, unseren Herrn und unser Licht – und halten sie damit aus und durch, diese Zeiten der Finsternis.

Wir haben hier in der Kreuzkirche diese große Christusfigur. Es ist eine Steinfigur mehr nicht, ich weiß. Und doch kann man auch an ihr den Blick auf Christus lernen. Wir haben ein Gemeindeglied hier in unserem Gemeindegebiet, der kommt oft ganz kurz hier in die Kirche herein, wenn mal Licht brennt oder so. Er kommt herein, ist ganz still und blickt nach vorne. Und ich denke manchmal: So will ich das auch machen: kurz innehalten und den Blick wieder auf Jesus richten.

Wie sehr man angesichts finsterer Situationen manchmal ringen kann, ja muss, um die Hoffnung, um den Glauben, um das Vertrauen auf Gott – das zeigen weitere Verse des Gebetes aus Psalm 25 deutlich. Nach diesem Psalm heißt unser Sonntag heute und ich möchte mit diesen Psalmversen die Predigt schließen. Sie sind ein Gebet und gleichzeitig ein Bekenntnis.

»Meine Augen sehen stets auf den HERRN;
denn er, er wird meine Füße aus dem Fangnetz ziehen.

HERR, wende dich mir zu und sei mir gnädig,
denn ich bin einsam und vom Leid gebeugt.

Sprenge du die Fesseln,
die mir das Herz zusammenschnüren,
lass mich frei werden von allem,
was mir jetzt noch Angst macht.

Achte auf mein Elend und auf meine Mühe
und vergib mir alle meine Sünden!

Sieh doch, wie viele Feinde ich habe,
sie verfolgen mich mit abgrundtiefem Hass!

Bewahre mein Leben und rette mich!
Lass mich nicht in Schande geraten,
denn bei dir suche ich Zuflucht.

Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit sollen mein Schutz sein,
denn meine Hoffnung bist allein du.«

Gott gebe uns die Gnade, so beten zu können, wenn die Finsternis nach uns greift. Und er schenke uns immer wieder Geborgenheit in ihm. Amen.

Verfassetr: Pfarrer Friedemann Wenzke, Dr. Martin Luther Str. 18, 95445 Bayreuth, Tel: 0921/41168; E-Mail: friedemann.wenzke@elkb.de