Predigt am Sonntag 05.03.2023, Kreuzkirche Bayreuth: Mk. 12, 1-12

Liebe Gemeinde.
es gibt eine Auffälligkeit bei den Gleichnissen, die Jesus erzählt. In allen Gleichnissen, die von der Natur handeln, z.B. das Gleichnis vom Senfkorn, von der selbstwachsenden Saat... – da ist etwas vom Frieden und von der guten Ordnung zu spüren, die Gott mit seinem Reich schafft und wachsen lässt. Aber überall, wo Jesus in den Gleichnissen von Menschen erzählt, da geht’s dramatisch zu. Da gibt es Verwicklungen, Konflikte und immer wieder auch das Scheitern.
So ist es auch hier in diesem Gleichnis, das heute der Predigttext ist. Mk. 12,1-12:

Und er fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes.
2 Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs nähme.
3 Da nahmen sie ihn, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.
4 Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn.
5 Und er sandte einen andern, den töteten sie; aund viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie.
6 Da hatte er noch einen, den geliebten Sohn; den sandte er als Letzten zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.
7 Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein!
8 Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.
9 Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben.
10 Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Psalm 118,22-23): "Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden.
11 Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unseren Augen"?
12 Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.

Von den »bösen Weingärtnern«, wird dieses Gleichnis genannt. Da prallen Gegensätze aufeinander, zwei Welten, ja mehr noch – denn das will das Gleichnis uns sagen: da prallen Gott und wir Menschen aufeinander.

Auf der einen Seite ist der Weinbergbesitzer: Was er erlebt, das kann er nur als Rebellion werten. Was hat er nicht alles investiert: er pflanzte den Weinberg, er zog einen Zaun, er grub eine Kelter und er baute einen Turm. Warum tut er das? Nicht weil ihm dieser Weinberg irgendwelche Steuervorteile bringt. Nicht weil man mit so einer Immobilie – mit einer Traumrendite – groß Kasse machen kann. Nicht weil er diesen Weinberg als Prestigeobjekt haben will.

Nein, dieser Mann handelt selbstlos. Er ist ein Menschenfreund. Er meint es einfach gut mit den Menschen. Er schafft das alles nicht für sich, sondern für andere. Er investiert für die Leute: Mit dem Weinberg – sorgt er dafür, dass sie Arbeit haben. Mit dem Zaun – sorgt er dafür, dass sie geschützt sind. Mit der Kelter – sorgt er, dass sie zu einem anständigen Verdienst kommen: Sie müssen ihre Trauben nicht vom Stock verkaufen, sondern können kostbaren Wein daraus machen. Und mit dem Turm – sorgt er für eine Wohnung. Er sorgt einfach für alles.

So – wie dieser Weinbergbesitzer – so ist unser Gott. Im Psalm 40 heißt es: Ich bin arm und elend. Aber der HERR sorgt für mich. Und Martin Luther bekannte: »Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat, samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen und Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält. Dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Äcker, Vieh und alle Güter beschert, mich mit aller Notdurft und Nahrung des Leibes und Lebens reichlich und täglich versorgt, wider alle Fährlichkeit beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit – ohn all mein Verdienst und Würdigkeit...«

So ist unser Gott – genau wie dieser Weinbergbesitzer: Er sorgt für alles.

Doch was passiert dann? Für alles ist gesorgt, doch dann kommt es zur Rebellion: Hass und Gewalt machen sich bei seinen Pächtern breit. Die Pächter sehen das Ganze freilich anders. Sie stellen sich selbst und ihr Tun in den Mittelpunkt. Sie waren schließlich keine Faulenzer, die sich vor der Arbeit drücken wollen. Nein, sie haben fleißig gearbeitet: Der Weinberg – ihr Weinberg – war in Schuss. Das Unkraut hat nicht die kleinste Überlebenschance. Hier wird hart gearbeitet. Hier wächst etwas heran, das sich sehen lassen kann. Hier reift ein Qualitätswein, dank ihres Einsatzes. Das, was da floriert, das kann sich sehen lassen. Dafür haben sie hart gearbeitet. Aber nun auch noch dafür bezahlen? »Wir haben doch den Schweiß vergossen. Wir haben die Stöcke veredelt. Wir haben die ganze Anlage in Schuss gehalten. Wir sollen nur schuften, damit ein anderer abkassiert. Nicht mit uns!«

Es klingt grotesk. Es klingt unglaublich. Doch so – wie diese Weinbergpächter – liebe Gemeinde, so sind wir Menschen: Was uns gelingt, das schreiben wir auf unser eigenes Konto: Alles, was in unserem Leben positiv erscheint, beachtlich, anerkennenswert, ehrenvoll, das betrachten wir als unser Eigentum: Im Sport, im Beruf, in der Schule, in der Familie. »Das habe ich fertiggebracht. Das habe ich geschafft!« – Und manchmal meinen wir das sogar beim Glauben: »Das habe ich fertiggebracht.« Und auf der anderen Seite: was uns nicht gelingt, wo wir schuldig werden, da sind wir schnell dabei, uns aus der Affäre zu ziehen: Die anderen sind schuld – oder die Umstände. Aber dass wir uns damit auch identifizieren, das fällt uns nicht im Traum ein. Die Schuld verdrängen wir – aber das Gelungene soll auf unser Konto gehen.

Nur übersehen wir dabei – genau wie die Weingärtner im Gleichnis – dass uns all das nur von Gott geliehen und anvertraut ist. Dass wir ohne ihn gar nichts hätten. Und dass seine Forderung an uns: dass wir ihm den ihm gebührenden Dank und Respekt bringen, nicht ungerecht und vermessen ist, sondern das natürlichste auf der Welt. Die Erklärung Martin Luthers zum 1. Glaubensartikel endet mit den Worten: »des alles ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin. Das ist gewisslich wahr.«

Gott hat ein Recht auf unseren Dank, auf ein Zeichen der Liebe, der Abhängigkeit und der Dankbarkeit – lobe den Herrn meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat (Psalm 103, 2)und wie oft vergessen wir’s? Was Jesus in diesem Gleichnis erzählt, das ist Gottes Geschichte mit uns Menschen. Und das ist seine Geschichte: Seine Leidensgeschichte, die uns nun in der Passionszeit wieder vor Augen steht.

1. Es ist die Geschichte vom Leiden Gottes an uns

Der Sohn bekommt das ganze Drama mit, das sich da in seinem Vaterhaus abspielt: Bisher mussten die Pächter nichts für den Weinberg bezahlen. Sie haben eine gute Ernte eingefahren. Wie es im Vertrag steht, ist nun die Zeit gekommen, dass sie ihre Schuld begleichen. Ein Teil dessen, was sie auf seinem Grund und Boden erwirtschaftet haben, gehört dem Eigentümer des Weinbergs – so war es Brauch. Keiner verlangt zu viel von ihnen. Sie müssen nicht alles hergeben. Nein, einen Anteil, nur ein Zeichen der Anerkennung und der Dankbarkeit fordert der Herr des Weinbergs.

Ein Bote wird losgeschickt. Geschunden kehr er zurück: »Keine Trauben, sie haben mir nur eine Tracht Prügel gegeben. Herr, das kannst du dir nicht gefallen lassen.« Aber dieser Herr lässt es sich gefallen. Der zweite Bote geht. Er kommt mit einem blutigen Kopfverband zurück: »Kein Wein. Sie haben mir den Schädel eingeschlagen. Das kannst du dir nicht bieten lassen. Greif endlich hart durch!« Aber er lässt es sich bieten. Und der dritte Bote – der kommt gar nicht mehr zurück. Jetzt müsste der Sohn auf den Tisch hauen und schreien: »Vater, es reicht! Es ist genug! Vater, jetzt ist eine Strafexpedition fällig.« Aber dieser Sohn haut nicht auf den Tisch und er schreit nicht. Und dieser Vater gibt nicht auf.

Unrealistisch wurde dieses Gleichnis in der Theologiegeschichte immer wieder bezeichnet. Und sie ist es in der Tat. Denn einen solchen Weinbergbesitzer gibt es wohl auf der ganzen Welt nicht. Einen, der bei all dem Unrecht immer noch Geduld hätte. Und einen, der dabei immer noch von Mal zu Mal hofft, dass die Pächter doch vielleicht ihre Gesinnung geändert haben.

Auf dieser Welt gibt es das nicht. Aber so – genau so – ist unser Gott. Er leidet mit einer unbeschreiblich zähen Geduld an uns. An uns Menschen, denen für Arbeit gesorgt ist und die so tun, als sei alles nur Mühe und Stress. An uns Menschen, denen für Schutz gesorgt ist, und die so tun, als ob sie darauf nicht angewiesen wären. An uns Menschen, denen für Wohnung gesorgt ist, und die so tun, als ob sie alles selber geschafft hätten. Gott leidet an uns, die wir von seiner Liebe und Fürsorge leben und nicht bereit sind, ihm dafür Zins zu geben, ein Zeichen der Abhängigkeit und Dankbarkeit.

Durchs ganze Alte Testament zieht es sich wie ein roter Faden: Der Bote Elia hat daran erinnert – und wurde fast umgebracht. Der Bote Jeremia hat daran erinnert – und wurde nach Ägypten verschleppt. Was aus ihm wurde, wissen wir nicht. Der Bote Sacharja hat daran erinnert – und starb, gesteinigt im Vorhof des Tempels. Der Bote Johannes der Täufer hat daran erinnert – und starb durch das Schwert des Henkers.

Der Sohn bekommt das ganze Drama im Vaterhaus mit, aber er sagt nicht: »Mach sie kaputt, vernichte sie, lass sie zugrunde gehen«. Dieser Sohn sagt nur: »Vater, ich gehe!«

2. Es ist die Geschichte vom Leiden Gottes

durch uns

Da hatte der Vater noch einen – einen einzigen hat er noch – den Sohn, den Geliebten. Da hatte der Vater nicht noch einen zweiten, einen dritten in der Hinterhand. Nein, den einen, den einzigen, den geliebten, den sendet er. Den Einzigen – ohne ihn ist der Himmel leer. Er ist das Herzstück des Vaters.

So ist unser Gott – er sendet das liebste was er hat, seinen Sohn zu uns Menschen. Der Sohn ist der höchste Einsatz des Vaters. Er sendet ihn – und es sieht tatsächlich so aus, wie in dieser Geschichte – als würde Gott dem Irrtum dieses Weinbergbesitzers aufsitzen: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.Aber Gott sitzt keinem Irrtum auf. Er weiß: Sie sollten sich vor ihm scheuen, aber sie werden sich nicht vor ihm scheuen. Und dennoch sendet er ihn. Dennoch geht Jesus. Kein Leibwächter schützt ihn. Kein Gesandter begleitet ihn. Kein noch so winziges Abzeichen weist ihn als Sohn des Höchsten aus.

Er geht. Er kommt zu uns. Er bittet. Er wirbt. Er sucht und er fragt: Der Vater hat dir so viel Liebe gegeben, in deiner Familie, in deiner Freundschaft – gib ihm doch ein Zeichen des Dankes! Der Vater hat Dir so viel Freude gegeben – in deinem Urlaub, in deinem Hobby. Wo bleibt die Frucht der Freude? Der Vater hat uns so viel Friede gegeben – in diesem Land, 80 Jahre werden es bald – wo bleibt die Frucht? Wo bleibt der Dank? Der Vater hat dir einfach alles gegeben – wo bleibt der Zins?

Die Weingärtner zahlen mit Fausthieben und Schlägen, mit Fußtritten und Verachtung. Jesus stirbt draußen vor dem Tor – einsam am Kreuz. Jesus – das ist der letzte Versuch Gottes. Das ist der höchste Einsatz des Vaters. Bis zum Kreuz gilt: Gott will uns nicht zermalmen, sondern gewinnen. Gott wirbt um uns. Gott sehnt sich nach uns. Schauen wir doch auf ihn. Hören wir doch auf ihn. Und: Vertrauen wir doch ihm. Schlagen wir ihn doch nicht weiter mit unserer Gleichgültigkeit, werfen wir ihn doch nicht wieder mit unserer Undankbarkeit hinaus, sondern vertrauen wir uns ihm mit unserem ganzen Leben an.

3. Es ist die Geschichte vom Leiden Gottes für uns

Wäre unser Gott ein Mächtiger wie ein Präsident,
er hätte längst gehandelt: Er hätte Truppen zusammengezogen, den Weinberg belagert, die Anlage unter Dauerbeschuss genommen, ihn gestürmt, ausgeräuchert und kurzen Prozess gemacht.

Aber Gott startet keine Strafaktion, sondern eine Rettungsaktion: Der Stein den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Am Ostersonntag holt Gott den Sohn aus Tod und Grab. Vom Herrn ist das geschehen – und ist ein Wunder vor unseren Augen. Gott setzt den Sohn ein – als Erben über alles. Von nun an ist er der Besitzer des Weinbergs. Mit den bisherigen Arbeitern kann er es nicht mehr. Er holt andere in seinen Weinberg: Das Alter spielt keine Rolle – ob noch nicht volljährig oder schon über die Pensionsgrenze: er will alle. Die Ausbildung ist ohne Bedeutung: Ob mit eins oder fünf im Zeugnis: er will alle. Und das Vorleben macht nichts: er kennt kein Vorstrafenregister und keine Punktekartei. Er ruft uns in seinen Weinberg. Er ruft alle in seinen Weinberg. Er will, dass wir zu ihm gehören, dass wir mit ihm leben, ja auch für ihn in seinem Weinberg arbeiten. – versöhnt mit Gott. Heimgebracht zu Gott, gerettet für immer. So ist unser Gott.

Der verworfene Eckstein wird zum Grundstein für Gottes neue Schöpfung und zum Schlussstein des Reiches Gottes. Der Schlussstein, der das ganze Gewölbe zusammenhält und abschließt. Zu ihm wollen wir gehören, zu dem einen, dem geliebten Sohn und zum Vater. Damit die Geschichte vom Leiden Gottes an uns und durch uns und für uns zu einem guten Ende bei uns führt. Amen.

Pfarrer Friedemann Wenzke, Dr. Martin Luther Str. 18, 95445 Bayreuth, Tel: 0921/41168, E-Mail: friedemann.wenzke@elkb.de