Predigt am 08.01.2023 in der Kreuzkirche Bayreuth: Joh. 1, 29-34

Liebe Gemeinde,

vor zwei Tagen noch haben wir hier von der Ankunft der Weisen an der Krippe in Bethlehem gehört, von ihren Geschenken und ihrer Anbetung. Sie sahen in dem unscheinbaren Säugling schon den großen König und beugten sich vor ihm. Eine schöne Geschichte, in unseren Weihnachtskrippen phantasiereich und liebevoll dargestellt. Aber wenig später, war es vorbei mit der Beschaulichkeit. Es wurde bedrohlich! Die Soldaten des Herodes suchten nach dem Königskind, um es zu töten. Maria, Josef und das Kind waren schon auf der Flucht nach Ägypten, Stall und Krippe sind leer. Gottes Plan erfüllte sich weiter, auch wenn er notvoll erschien. In unserem Predigttext heute hören wir, worauf Gottes Plan gerichtet ist. Unser Predigttext allerdings spielt wohl ca. 30 Jahre später. Er steht im Johannesevangelium im 1. Kapitel, die Verse 29-34:

Am nächsten Tag sieht Johannes (der Täufer), dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!
Dieser ist’s, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich.
Und ich kannte ihn nicht. Aber damit er Israel offenbart werde, darum bin ich gekommen, zu taufen mit Wasser.
Und Johannes bezeugte und sprach: Ich sah, dass der Geist herabfuhr wie eine Taube vom Himmel und blieb auf ihm. Und ich kannte ihn nicht. Aber der mich sandte, zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf wen du siehst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, der ist’s, der mit dem Heiligen Geist tauft.
Und ich habe es gesehen und bezeugt: Dieser ist Gottes Sohn!

Haben Sie Ihre Krippe schon weggeräumt? In vielen Häusern ist das ja so eine Tradition, die Weihnachtskrippe an Epiphanias oder in den Tagen danach wieder abzubauen. Da nimmt man dann die Figuren aus dem Stall und der Umgebung, wo sie nun zwei Wochen lang zwischen Moos und Steinen, Ästen, Wurzelwerk, Heu und Stroh standen, lagen oder schwebten. Es ist ja eine eigenartige Mischung aus Engel, Menschen und Tieren, die in unseren Weihnachtslandschaften ihren Platz haben: Hirten und Könige, Frauen, Männer und Kinder. Bei den Tieren sind nicht nur die obligatorischen Ochs und Esel und die Schafe mit dabei, sondern manchmal auch Kamele und Kühe, Ziegen und Zebras, Pferd und Pfau, Hühner und Gänse. Egal wie unsere Krippe aussieht, eines ist immer gleich: Menschen und Tiere sind zusammen als erlösungsbedürftige Schicksalsgemeinschaft um die Krippe und das Jesuskind versammelt. Es ist manches, was uns mit der Tierwelt verbindet. Oft ziehen wir die Vergleiche ja auch selber: “Ach, ich Esel, hab schon wieder vergessen…den Geldbeutel mitzunehmen!”

Wir nennen uns selbst oder andere Rindvieh und Kamel, Schaf oder schlauer Fuchs. Auch der Bär oder das Chamäleon müssen als Vergleichsobjekte herhalten Meist geht es bei solchen Kosenamen weniger um das Aussehen, als um bestimmte Eigenschaften, die man den jeweiligen Tieren zuordnet und auch bei einem Menschen zu entdecken glaubt. Da klettert jemand wie eine Katze, stiehlt wie ein Rabe, ist scheu wie ein Reh, dickhäutig wie ein Elefant oder heult wie ein Schlosshund. Hoffentlich schläft jetzt während der Predigt keiner wie ein Murmeltier. –

Auch Jesus hat derlei Vergleiche verwendet: Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben! (Matth. 10,16) Er warnt vor falschen Propheten in Schafskleidern, die aber doch inwendig reißende Wölfe sind (Matth. 7,15). Ein besonders beliebtes, ja liebevolles Bild ist der Gute Hirte, der das verlorene Schaf sucht, findet und heimträgt. “Weil ich Jesu Schäflein bin, freu ich mich nur immerhin über meinen guten Hirten, der mich wohl weiß zu bewirten, der mich lieb hat, der mich kennt und bei meinem Namen nennt.” So singen wir schon mit unseren ganz Kleinen und es ist gewiss keine Zurücksetzung, ein Schäflein des Herrn Jesus zu sein.

Das Schaf hat unter den Tieren ohnehin noch einmal eine besondere Stellung. Es ist zwar weder besonders stark, noch besonders schlau, auch nicht besonders wertvoll oder selten. Es ist nicht schnell genug um seinen Feinden, dem Bären, dem Wolf oder dem Löwen zu entkommen. Frisch geschoren macht es oft einen erbärmlichen Eindruck und ungeschoren, mit dickem zotteligem Wollpelz, wirkt es recht unbeholfen.

Trotzdem hat Gott sich gerade das Lamm ausgesucht als sein Wappentier. Und der Sohn Gottes, Jesus Christus, wird in der Bibel vielfach als Lamm Gottes bezeichnet. In der Offenbarung des Johannes lesen wir vom Thron des Lammes und vom Hochzeitsmahl des Lammes. Johannes der Täufer, als mahnender Bußprediger am Jordan wirkend, entdeckt plötzlich unter all den Menschen, die über ihre Schuld erschrocken sind, Jesus, der sich unter die bußfertigen Sünder eingereiht hat. Er zeigt auf ihn hat und ruft laut:

Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! Er meint das nicht als Beleidigung oder Herabsetzung, sondern als Ehrentitel.

Was hat denn das zu bedeuten? Was hat denn das Lamm für Eigenschaften, die man mit göttlichen Zügen vergleichen könnte? Andere Gottheiten wurden in Gestalt von Löwen oder Adlern, Stieren, Schlangen oder Elefanten dargestellt, um auszudrücken, wie stark, überlegen, gerissen und wehrhaft sie sind. Aber was kann ein Schaf oder gar ein kleines schwaches Lamm? Es kann leiden. Es kann ertragen. Es wehrt sich nicht. Es kann eigentlich nur Opfer sein. Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt. Ein Lamm, das gefesselt am Boden liegt, wehrt sich nicht. Es kämpft nicht um sein Leben, es brüllt nicht wie am Spieß, versucht nicht die Stricke zu zerreißen, sondern ergibt sich in sein Schicksal.

Wahrscheinlich hat man schon deshalb im alten Israel mit Vorliebe Schafe und Lämmer als Opfertiere verwendet, weil man mit ihnen den wenigsten Ärger und Stress hatte. Dem Sündenbock wurde in einem symbolischen Akt die Schuld des Volkes aufgelegt und mit dem Blut des Opferlammes wollte man den berechtigten Zorn Gottes von sich abwälzen. Mit dem Blut eines geschlachteten Lammes an den Türpfosten hielten die versklavten Israeliten den Todesengel von ihren Häusern ab.

Unzählige Opferlämmer, meist makellose erstgeborene Tiere, die noch kein Jahr alt sein durften, mussten für die Sünden ihrer Besitzer bluten und sterben. Bis Gott selber diesem Umgang mit Schuld ein Ende bereitete. Er gab seinen Sohn, den der so unschuldig und süß, neugeboren in die Krippe gelegt wurde und der dann an einem alten Holzkreuz immer noch unschuldig, aber ganz und gar nicht süß, verblutet ist.

In prophetischer Vorausschau sieht Johannes der Täufer diesen Jesus am Kreuz sterben, - Gott hat es ihm gezeigt - und ruft auf Jesus zeigend: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!

Er will damit sagen: Auf ihn dürft, nein, sollt ihr eure Schuld abwälzen. Er ist der Blitzableiter für den verdienten Zorn Gottes für all unsere Sünde. Weil sein Blut fließt, dürfen wir leben! Er, Jesus, Gottes Lamm, wehrt sich nicht, sondern übernimmt diese undankbare Aufgabe willig und gehorsam.

Nicht ein böser heimtückischer Plan steckt dahinter sondern göttliche Liebe, die aussichtslos Verlorene retten will. Es ist eine starke Liebe zum Verlorenen, die Gott, den Allmächtigen dazu bringt, unser Lamm zu werden.

Das schwache Lamm, das sich nicht wehrt, nicht klagt, nicht schreit, trägt der Welt Sünde. Der Welt Sünde! Das sind drei kleine Worte, das sagt sich so leicht! Das ist eine fromme Floskel geworden und ist doch so umfassend, so inhaltsschwer, so voller Leid und Tränen. Der Welt Sünde! Das sind die Kriegssünden, die millionenfaches Sterben und Leid verursacht haben, die Morde der Soldaten des Herodes an den Kindern von Bethlehem und all die anderen Kindsmisshandlungen und – schändungen bis hinein in die Kirche. Die Sünde der Welt, das sind die Morde an den Ungeborenen, den Behinderten, deren Leben man für lebensunwert hielt.

Der Welt Sünde, das ist die Ungerechtigkeit in der Verteilung der Güter, der Raubbau und die Ausrottung in der Natur, der Umgang mit Schadstoffen, Wertstoffen und Giftstoffen. Der Welt Sünde, das sind gedachte, gesprochene, geschriebene, gesendete Gemeinheiten. Lügen und Verleumdungen, Vorurteile und Gerüchte. Der Welt Sünde, das ist deine und meine Schuld vor Menschen und vor Gott.

Der Welt Sünde? Ja, wer ist denn die Welt? Die anderen? Regierende, Publizierende, Verwaltende, Bewaffnete, Lehrende, Richtende, Predigende, Hörende, Schweigende, Handelnde, Untätige. Ja, sie sind alle Teil dieser Welt, mit Beteiligte an der Welt Sünde. Der Welt Sünde, dazu gehöre ich auch! Der Welt Sünde, das sind nicht vor allem die anderen, sondern das bin vor allem ich. Ob ich es will oder nicht, ob ich es zugebe oder nicht, ob ich es weiß oder nicht: es ist so.

Mit Absicht oder versehentlich, gedankenlos oder rücksichtslos, in der Schule, im Beruf, in der Freizeit, bei Tag und in der Nacht produzieren wir alle permanent Schuld der Welt. Wir verletzen und versäumen, wir vergessen und verachten, oft merken wir es gar nicht. Wir haben nur uns, unser Wohlergehen, unsere Wünsche, unsere Interessen im Blick.

Was wird auf dieser Welt alles produziert! Panzer und Patronen, Autos und Automaten, Computer und Konsumgüter, Überschüsse werden produziert und klimatische Veränderungen. Aber am meisten und pausenlos wird Schuld produziert. In jedem Land, in jeder Stadt, in jeder Straße und in jedem Haus werden ständig neue Beiträge geleistet zur Schuld der Welt.

Liebe Gemeinde, ich weiß, das sind scharfe, provozierende Worte, aber sie müssen sein. Wer das nicht sieht oder wer meint, er hätte nichts mit der Welt Sünde zu tun, der lebt in einer totalen Verblendung und vergrößert damit immer noch weiter seine Schuld und die Schuld der Welt.

Es steht fest: Einmal wird die Welt an ihrer Schuld zugrunde gehen. Eigentlich ist sie schon verloren. Es ist nur noch eine Frage der Zeit. Und es ist die Frage für jeden einzelnen unter uns, ob wir mit verloren gehen oder ob wir uns an das Lamm Gottes wenden, das die Schuld der Welt, auch unsere Schuld trägt. Jesus, Gottes Lamm, ist der einzige, der uns aus der Verlorenheit und vor dem Untergang retten kann. Nur mit ihm und durch ihn wird uns die Last der Schuld abgenommen. Nur mit ihm und durch ihn können wir mitten in der verlorenen Welt Boten des Friedens und der Liebe Gottes sein.

Dazu eine Geschichte: der polnische König und sächsische Kurfürst August der Starke hatte einst im Musiksaal des Dresdner Schlosses eine erlesene Gesellschaft zu einem abendlichen Konzert eingeladen. Ein berühmter Musiker solle ihnen eine Probe seines Könnens zeigen und die vornehmen Leute unterhalten. Man erwartete fröhliche Weisen und wunderbare Tanzmelodien. Doch der Künstler ist von ganz anderer Musik erfüllt, als er all die armen Reichen dort im Saal sieht. Ganz langsam beginnt Johann Sebastian Bach sein Spiel und feierlich klingt es durch den Saal: „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld der Welt und ihrer Kinder…“ (EG 83) Es wird still im Raum und die Menschen lauschen ergriffen von der wunderbaren Musik. Dann ist die letzte Zeile verklungen: „und spricht: ich wills gern leiden.“ Nach einer langen Stille geht der Kürfürst auf Bach zu, zieht seinen Ring vom Finger, steckt ihn Johann Sebastian Bach an und sagt: „Trag er den Ring zum Andenken an diese Stunde und zum Zeichen, dass ich ihm lebenslang verbunden bin in Dankbarkeit und Freundschaft. Er hat mir an diesem Abend viel gegeben. Durch sein Lied hat er zu mir geredet, wie noch keiner es vermocht hat. Ich danke ihm!“

Ja, es ist so: Christus, das Lamm Gottes, macht uns frei von aller Sünde, wenn wir uns schuldig geben und von ihm Vergebung erbitten. Gott hat in der Bibel absichtlich dieses Bild der Schwachheit gewählt, ein Lamm, um seine Macht zu zeigen. Das wehrlose Opferlamm, zermahlen und zerrieben von der Schuld der Welt, wird zum siegreichen Lamm auf dem Thron, vor dem sich alle Mächte des Himmels und der Erde verneigen. Wer auf dieses Lamm sieht, Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt, der wird befreit, der wird gestärkt, der wird gerettet und getröstet, der wird aufgehoben und angenommen.

Manchmal wissen wir nicht, wie es mit der Welt oder mit uns weitergehen soll, wissen nicht, was am nächsten Tag sein wird. Lassen wir uns von Johannes den Blick weglenken von dem, was uns drückt, auf den der mitten unter uns ist, Jesus Christus: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt! Dieses Lamm trägt auch deine Sünde, deine Fehler, deine Ängste, deine Zweifel. Dieses Lamm trägt auch dich, trägt dich heim, trägt dich bis in seine Herrlichkeit. 

Amen.

Verfasser: Pfarrer Friedemann Wenzke, Dr. Martin Luther Str. 18, 95445 Bayreuth, Tel: 0921/ 41168; E-Mail: friedemann.wenzke@elkb.de