Predigt am 10.07.2022, Kreuzkirche Bayreuth, Text: Joh. 3, 8-11

Liebe Gemeinde,

heute treffen wir Jesus in Jerusalem. Er sitzt in einem Seitenraum des Tempels und lehrt. Er legt das Alte Testament aus und viele hören zu. Da passiert folgendes:

Die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte
4 und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden.
5 Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du?
6 Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.
7 Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.
8 Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
9 Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand.
10 Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt?
11 Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.

Eine Gruppe theologisch gelehrter Männer, Vorbilder in puncto Frömmigkeit, drängelt und zerrt eine Frau zu Jesus, der am Tempel sitzt und lehrt. In flagranti war sie erwischt worden beim Ehebruch. Auf frischer Tat! Besser geht es eigentlich nicht. Und die Gesetzeslage ist eindeutig, so steht es schon bei Mose geschrieben: wer beim Ehebruch erwischt wird, der muss sterben. Steine sollen fallen. Steine sollen geworfen werden –auf die Frau.

Moment mal, schießt es einem als Predigthörer des 21. Jahrhunderts durch den Kopf. Tod wegen Ehebruchs? Ehebruch – das ist doch heute fast salonfähig geworden. Aber das waren damals andere Zeiten: Wer beim Ehebruch erwischt wurde, auf den wartete das Todesurteil. Auf beide Beteiligten übrigens, auch wenn der beteiligte Mann in unserer Geschichte keine Erwähnung findet.

Nun steht sie da, die Frau. Die Frau- mehr wissen wir von ihr nicht. Wir kennen weder ihren Namen, noch ihre Lebensumstände und schon gar nicht die Gründe, warum sie aus ihrer Ehe ausgebrochen ist.

Sie steht in der Mitte des Geschehens, und doch steht ein anderer im Mittelpunkt. Denn schnell ist klar: Es geht den frommen Klägern gar nicht um die Frau. Ihnen geht es um Jesus. Sie suchen einen Grund, um ihn anzuklagen. Die Frau ist nur „Mittel zum Zweck“, ist Spielball ihrer Interessen.

Nun stehen die Männer vor Jesus. Vereinzelt haben sie Steine in der Hand. Die gelehrten Männer, die sonst in Ruhe und Gelassenheit lesen, denken, diskutieren und argumentieren, erscheinen wie eine losgelassene, aufgehetzte Meute, die Beute vor Augen. Die Steine drohen geworfen zu werden. „Meister, was sagst Du?“, fragen sie Jesus. Plötzlich scheint es nicht mehr an den Männern zu liegen, sondern an Jesus selbst, ob Steine geworfen werden. Auf geschickte Weise treiben die Kläger Jesus in die Enge. Wie wird der bekannte Lehrer der Barmherzigkeit urteilen?

Der Fortgang der Geschichte gleicht einer filmreifen Szene: in der Mitte die Frau, noch immer steht sie regungslos und wartet auf ihre Verurteilung. Was ihr wohl durch den Kopf gehen mag? Welche Gefühle sie begleiten? Hat sich das Ausbrechen aus der eigenen Ehe wirklich gelohnt, wenn jetzt dafür der Tod droht? Ihr Herz pocht sicherlich stark und laut. Diesseits der Frau die aufgebrachte Menge, jenseits Jesus. Das Volk als stiller Beobachter steht um die Beteiligten. Was macht Jesus? ----- Er geht in die Hocke und schreibt in den Sand. Er lässt sich Zeit.

Aber die Männer lassen nicht locker. Endlich richtet sich Jesus auf: Es ist als schwenke die Kamera von den vor Wut, Zorn und Provokation schäumenden Gesichtern der Ankläger auf Jesus um. Dieser spricht nur einen einzigen Satz, jenen berühmten Satz, der die Männer ins Mark trifft – und uns heute auch: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“

Damit konnte keiner der Beteiligten rechnen. Jesus bestätigt weder das zu erwartende Urteil über die Frau, noch kehrt er es um. Stattdessen knüpft Jesus das Handeln der Urteilenden an eine Bedingung und setzt sie damit selbst auf die Anklagebank.

„Wer unter euch ohne Sünde ist...“, dieser Satz schneidet die Luft. Dieser Satz hat damals eingeschlagen.

Ob das heute auch so ist? Manchmal erschrecke ich darüber, wie stark das Unrechtsbewusstsein in Teilen unserer Gesellschaft abnimmt. Betrügereien und Lügen gehören zur Tagesordnung. Der Ehrliche ist der Dumme, so scheint es, obwohl dieser Satz auf lange Sicht ganz gewiss nicht wahr ist. Wenn ich heute an der Kasse Restgeld, das mir zu viel rausgegeben wurde, wieder zurückgebe, werde ich fast angeschaut, als käme ich von einem anderen Stern.

Die Frage heute lautet schlicht: an wem und an was orientiere ich mich im Leben? An dem, was alle machen, was gerade „in“ ist und cool? Oder bin ich auch mal bereit, nein zu sagen, hinzustehen und gegen den Strom zu schwimmen? Nicht aus Prinzip, nicht weil ich ein Spiel- oder Spaßverderber bin oder mich profilieren möchte, sondern weil ich weiß, dass manches, was heute üblich geworden ist, nicht Gottes Wille sein kann.

Es ist doch interessant, dass Jesus den Ehebruch nicht einfach verharmlost. Er bezeichnet ihn als Sünde. Er sagt mit seiner scharfen Antwort sinngemäß: „Jawohl, diese Frau ist vor Gott schuldig geworden. Es stimmt, was ihr sagt: nach eurem Recht von damals dürft ihr sie töten. Legt los, werft doch endlich die Steine, aber unter einer Bedingung: Wer noch nie in seinem Leben schuldig geworden ist, der werfe den ersten Stein.“

Und was geschieht: bedächtig werden die ersten Steine auf den Boden gelegt und fallengelassen. Dann gehen die Männer davon, denn sie wissen, dass sie selbst Sünder sind. Wenn auch wohl eher nicht im sexuellen Bereich. Wobei man ja da heute bei den Pfarrern und Priestern auch nicht mehr sicher sein kann. Das ist so schlimm und kann uns Hauptamtliche – ob Täter oder nicht - insgesamt nur in die Buße treiben.

Das Jesuswort ist allerdings nicht einzuschränken auf den Bereich der Sexualität. Hochmut, Heuchelei, Lüge, überhaupt ein Leben, das nicht nach Gott fragt, ist auch Sünde vor Gott. Wer im Glashaus sitzt...sie wissen wie der Spruch weitergeht.

Die Männer scheinen beim Weggehen zu erkennen: es geht Jesus um Barmherzigkeit statt um Hartherzigkeit. Wie heißt es in der Bergpredigt: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Vergebt, so wird euch auch vergeben.“

Worte, die leicht gesagt, aber schwer gelebt sind. Wie viel leichter ist es, jemand etwas nachzutragen, vor allem wenn man innerlich verletzt wurde. Wie viel leichter ist es, dem anderen immer wieder mit Vorhaltungen zu begegnen, die vielleicht schon uralt sind.

Deshalb ist es wichtig, dass wir erkennen: Jesus kehrt das Unrecht nicht einfach unter den Teppich. Schwamm drüber, das ist zu einfach bei Gott.

Als Jesus und die Frau allein sind, stellt er die Frage: „Hat dich niemand verdammt?“ „Niemand, Herr“, so die knappe Antwort der Frau. Sie sagt kein Wort zu viel. Noch ist sie sehr angespannt. Noch ist das Urteil nicht gesprochen. Aber dann der erlösende Satz von Jesus, dem Sohn Gottes: „Dann verdamme ich dich auch nicht!“ Damit wird deutlich: Grund genug gab es. Das was die Frau getan hat, war in Gottes Augen nicht in Ordnung. Und doch hört sie jetzt: „ich bin von Gott angenommen und freigesprochen.“ Jetzt fallen der Frau Steine vom Herzen. Steine, die viel größer und schwerer sind, als die, die man damals auf sie werfen wollte. „Geh hin“, fordert Jesus sie auf. Jesus spricht frei zum Leben. Er eröffnet der Frau neues Leben, weist ihr den Weg in die Zukunft, gibt ihr aber noch einen Ratschlag auf den Weg: „Sündige hinfort nicht mehr!“

Auch das ist leichter gesagt als getan. Gemeint ist aber von Jesus ein Sinneswandel, ein Bewusstseinswandel: „lebe so, dass Du nicht mehr sündigen willst.

Lebe so, dass Du dich nach Gottes Willen ausstreckst und ihn für dein Leben gelten lassen willst. Natürlich wird dir das nicht immer gelingen. Aber wenn Du dann mal fällst, dann sei gewiss, dass dich das nicht trennen kann von Gottes Liebe. So wie ein Kind, das mal in die dreckige Pfütze fällt, doch trotzdem noch das geliebte Kind der Eltern bleibt, so werden auch wir als Gotteskinder geliebt bleiben, selbst wenn wir manchmal in den Dreck fallen. Du bist ein Gotteskind und bleibst ein Gotteskind.

Im Bibel open air hatten wir letzte Woche einen schönen Vergleich: wir haben uns Christen mit einem Apfelbaum verglichen. Ein Apfelbaum bringt mal mehr mal weniger Früchte. Aber es sind immer Äpfel. Selbst wenn mal der Wurm drin ist. So ist jeder Christ gewissermaßen ein Apfelbaum und der bleibt er auch. Auch wenn die geistliche Frucht zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich ist. Und selbst wenn in unseren Früchten mal der Wurm drin ist: Gott wird uns vergeben, so wie er der Ehebrecherin vergeben hat.

Nur wer munter drauf los gegen Gottes Gebote lebt in der Haltung: „Gott wird mir schon vergeben“, der ist schief gewickelt. Das ist ein frecher Vergebungsglaube, der nicht biblisch ist. Vergebung ist und bleibt immer ein unbegreifliches Wunder, so wie es die Frau im Zwiegespräch mit Jesus erlebt hat.

Eines aber ist auch klar zum Schluss: wenn ich ein Mensch bin, der von der Vergebung lebt, dann sollte ich es tunlichst vermeiden, auf andere mit Steinen zu schmeißen. Bin ich doch darauf angewiesen, dass niemand Steine auf mich wirft.

Legen wir also die Steine beiseite und leben – befreit durch die Barmherzigkeit Gottes. Lassen wir uns von Gott neu einladen zu diesem Sinneswandel, der so leben möchte, wie Gott es will. Wir alle sind heute dabei neu gefragt. Und ich freue mich, dass unser lieber Tobias das heute an seiner Konfirmation mit der Konfirmationsfrage ganz persönlich gefragt wird und bejahen wird: Ja, ich lebe mein Leben zukünftig mit Gott. Stimmen Sie doch innerlich auch mit ein. Amen.

Verfasser: Pfarrer Friedemann Wenzke, Dr. Martin Luther Str. 18, 95445 Bayreuth, Tel: 0921/41168;

E-Mail: friedemann.wenzke@elkb.de