Predigt am 26.06.2022 in der Kreuzkirche Bayreuth: Jona 3

Liebe Gemeinde,

»Jona, geh nach Ninive!« Als Jona das zum ersten Mal gehört hatte, war er in die entgegengesetzte Richtung aufgebrochen. Statt nach Ninive, das weit im Osten liegt, machte er sich auf zum Hafen und bestieg ein Schiff in Richtung Spanien, weit weg im Westen.
Viele von uns kennen die Geschichte: Es kam ein großer Sturm, Jona wurde zur Rede gestellt, zum Schuldigen erklärt und über Bord geworfen. Es kam aber nicht nur ein großer Sturm, sondern auch ein großer Fisch, und der nahm Jona auf.
Im Fischbauch konnte Jona sich besinnen, konnte beten und kam mit dem Leben davon.

Doch der Auftrag, nach Ninive zu gehen, war noch nicht erledigt. Und ein zweites Mal schickt Gott seinen Jona los, fast mit den gleichen Worten wie beim ersten Mal.
Zweiter Versuch – und davon hören wir heute. Ich lese das dritte Kapitel aus dem Buch Jona.

Und es geschah das Wort des HERRN zum zweiten Mal zu Jona:
2 Mach dich auf, geh in die große Stadt Ninive und predige ihr, was ich dir sage!
3 Da machte sich Jona auf und ging hin nach Ninive, wie der HERR gesagt hatte. Ninive aber war eine große Stadt vor Gott, drei Tagereisen groß.
4 Und als Jona anfing, in die Stadt hineinzugehen, und eine Tagereise weit gekommen war, predigte er und sprach: Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen.
5 Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und riefen ein Fasten aus und zogen alle, Groß und Klein, den Sack zur Buße an.
6 Und als das vor den König von Ninive kam, stand er auf von seinem Thron und legte seinen Purpur ab und hüllte sich in den Sack und setzte sich in die Asche
7 und ließ ausrufen und sagen in Ninive als Befehl des Königs und seiner Gewaltigen: Es sollen weder Mensch noch Vieh, weder Rinder noch Schafe etwas zu sich nehmen, und man soll sie nicht weiden noch Wasser trinken lassen;
8 und sie sollen sich in den Sack hüllen, Menschen und Vieh, und heftig zu Gott rufen. Und ein jeder kehre um von seinem bösen Wege und vom Frevel seiner Hände!
9 Wer weiß, ob Gott nicht umkehrt und es ihn reut und er sich abwendet von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben.
10 Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat's nicht.


I. Großes geschieht

»Ninive war eine große Stadt vor Gott«, so hören wir. Tatsächlich gehörte Ninive zu den Großstädten der damaligen Welt. Sie lag im heutigen Irak und war im 7. Jahrhundert vor Christus die Hauptstadt im Assyrischen Reich. Der Umfang der Stadtmauer betrug 12 km, der Durchmesser 4 km. Die Stadt wurde 612 v. Christus zerstört.

»Eine große Stadt vor Gott«, das heißt aber auch: Diese große Stadt hat einen großen Platz in Gottes Herzen. Sie ist ihm nicht egal. Es liegt Gott einiges an ihr!

Doch immer noch regiert die Bosheit in Ninive. Jeder sucht den eigenen Vorteil. Die Stärkeren unterdrücken die Schwächeren. Rücksicht und Barmherzigkeit gibt es nicht.

Als Jona die Stadt erreicht, geht er hinein – und sagt es dann kurz und knapp: »Es sind noch vierzig Tage, so wird Ninive untergehen.« Noch vierzig Tage, Punkt. Aus. Kürzer kann einer kaum predigen, als Jona es tat. Und er erwähnt nicht mal Gott dabei. In der Predigtausbildung der Vikare unserer Landeskirche würde er dafür glatt eine sechs bekommen. So kann man doch nicht predigen! Stellen Sie sich vor, Sie kommen extra in die Kreuzkirche zum Gottesdienst und die Predigt von mir hat nur einen Satz! Und dann noch diesen! Wie würden Sie sich dann verhalten? Vielleicht würden Sie sich aufregen und sagen: na, diese Woche hat der Pfarrer es sich ja einfach gemacht, so eine faule Socke! Oder Sie sagen: na, das hätte ich auch noch fertiggebracht! Oder Sie ärgern sich, dass ihr Weg hierher länger gedauert hat als der Ganze Gottesdienst. Oder Sie sparen an der Kollekte. Oder, oder, oder…

Und nun geschieht in Ninive etwas Großes: Die Bewohner der großen Stadt Ninive, Menschen, die bisher vor allem durch ihre Bosheit bekannt geworden sind, reagieren auf Jonas Worte! Auf diese Predigt, mit der man in jeder Predigtprüfung durchfallen würde. Sie fangen an, an Gott zu glauben, rufen ein Fasten aus und legen Bußgewänder an. Sie warten nicht erst einmal ab, sondern kommen gleich ins Handeln. Gemeinsam und eindeutig. Es bleibt nicht bei Absichten oder Gedanken. Dass es anders werden soll, machen sie sichtbar. Und sie tun das, noch bevor der König davon erfährt!

Sie nehmen ernst, was Jona ansagt. Aber sie nehmen es nicht wörtlich. Sie nehmen es nicht als Todesurteil, sondern als Warnung. Sie setzen ihr Vertrauen darauf, dass Gott – den sie noch gar nicht genauer kennen – mit diesem Prophetenwort ja auch etwas Gutes beabsichtigen könnte. Dass es vielleicht noch nicht zu spät ist.

Und doch ist es höchste Zeit, und darum fangen sie an und zeigen sichtbar, dass sie verstanden haben.

Ist es nicht erstaunlich, wie offen sich die Leute von Ninive für die Botschaft Jonas zeigen? Und umgekehrt: wie bereit sind wir heute, unser Verhalten zu ändern, wenn jemand sagt: »Kehr um von dem und dem verkehrten Weg! Es ist höchste Zeit!«? Von wem lassen wir uns das überhaupt sagen?

Dabei ist es so wichtig, dass wir mal unsere Lebensrichtung überdenken. Wir leben in turbulenten Zeiten. Seit über zwei Jahren beschäftigt uns Corona. Die Verletzbarkeit unseres Lebens und unserer Gesundheit wurde überdeutlich. Unser Gesundheitssystem stößt längst an Grenzen. Viele, mitunter fast traumatische Abschiedsszenen musste ich mitbegleiten, wenn Angehörige nicht mehr angemessen von ihren sterbenden Lieben Abschied nehmen konnten. Schule war nicht mehr selbstverständlich, Gottesdienst war nicht mehr selbstverständlich. Vieles, was uns so wert und wichtig und gewohnt war, war es nicht mehr. Sind wir ins Nachdenken gekommen? Haben wir unsere Lebensrichtung überdacht? Sind wir uns unserer Rolle in der Welt bewusstgeworden, dass wir eben doch vieles nicht in der Hand haben?

Dabei ist es so wichtig, dass wir mal unsere Lebensrichtung überdenken. Wir leben in turbulenten Zeiten. Seit dem 24.02. tobt der Ukrainekrieg mit unzähligen Toten und Verletzten auf beiden Seiten. Es wird geschossen und erschreckt, es wird gedroht und bombardiert. Eine Flüchtlingswelle kommt in Bewegung, die Welternährungssituation wird kritisch, die Preise bei uns explodieren. Unsere Kinder bekommen plötzlich etwas vom Krieg mit, wo wir doch dachten, dass sie an so etwas nie denken müssen. Eltern fragen mich, wie sie denn mit diesen Ängsten der Kinder umgehen sollen. Ich habe auch keine Patentlösung, aber ich lade kommenden Mittwoch um 20.00 Uhr hier in unseren Innenhof ein, damit wir mal darüber ins Gespräch kommen, was hilft und was auch nicht hilft. Näheres dazu nachher bei den Infos. Unsere Lebensumstände sind unsicher geworden. Sind wir ins Nachdenken gekommen? Haben wir unsere Lebensrichtung überdacht? Sind wir uns unserer Rolle in der Welt bewusst-geworden, dass wir eben doch vieles nicht in der Hand haben?

Erstaunlich sind sie, die Leute von Ninive, dass Sie dieser Kurzpredigt von Jona so Gehör schenken und Konsequenzen ziehen! Wohlmöglich erstaunlicher als wir!


II. Ein kluger König

Der König erfährt davon. Und auch er tut etwas. Er tauscht sein Edelgewand gegen ein Sackkleid, verlässt seinen Thron und setzt sich auf die Erde, ja in die Asche.

Zuvor lässt er noch als allgemeine Anweisung überall verbreiten, dass es Groß und Klein, Mensch und Vieh ebenso machen sollen. Statt Leben im Luxus: ein großes Innehalten und Fasten. Statt immer mehr vom Verkehrten: sichtbares Verzichten. Und vor allem: ein neues Hinwenden zu Gott. Alle sollen zu Gott um Hilfe schreien, heftig sollen sie das tun, so wird es vom König angeordnet und verbindlich gemacht.

Jeder soll in sich gehen und umkehren vom verkehrten Weg, von Ausbeutung, Unrecht, übler Nachrede und Gewalttat. Jeder soll das tun! Nicht nach links und rechts schielen, nicht vergleichen, wer es noch nötiger habe, vielmehr soll jeder an seiner Stelle anfangen und wirklich einen neuen Weg einschlagen.

Nicht nach rechts und links schielen, wer es nötiger habe – das gilt besonders uns Christen. Wie leicht schleicht sich der Gedanke ein, dass die anderen, die sogenannten Gottlosen, die Buße und Umkehr doch viel nötiger hätten. Wie leicht schleicht sich der Gedanke ein, dass doch die vielen Menschen, die in Deutschland nicht an Gott glauben, erstmal zum Glauben kommen sollen, und erst dann sind wir dran. Wie schnell sind irgendwelche pauschalen Gerichtsphantasien Gottes über die anderen ausgedacht, nur nicht über sich selbst. Als wenn wir, die wir auf dem Weg des Glaubens sind, irgendwie besser wären als andere. Als ob wir Umkehr weniger nötig hätten. Vielleicht sieht unsere Umkehr anders aus als bei jemanden, der gerade erst zum Glauben kommt, das mag sein. Aber nötig ist sie allemal immer wieder.

Umkehr ist nötig, das wissen in Ninive vermutlich im Gegensatz zu unserer Zeit auch die Regierenden. »Wer weiß«, fragen der König und seine Oberen, »wer weiß, ob Gott nicht umkehrt und es ihn reut und er sich abwendet von seinem grimmigen Zorn, dass wir nicht verderben.« – Was für eine wunderbare Frage! Was für eine wunderbare Frage, mitten in der Krise! Was für eine gute innere Einstellung.

Vielleicht ist das ja kein Automatismus mit dem angedrohten Strafgericht. Vielleicht lässt sich ja noch was machen! Vielleicht hört Gott ja unser Schreien – vielleicht sieht er, dass wir es ernst meinen. Vielleicht will er ja noch lieber als unseren Tod unsere Umkehr und unser Leben.

So verwegen hofft der König, hoffen Groß und Klein in Ninive. Alles bieten sie auf für das eine Ziel: »dass wir nicht verderben«. Sie vertrauen darauf, dass Gott sich bewegen könnte. Vielleicht ist es ja so!


III. Auch Gott kehrt um

Auch von Gott ist Erstaunliches zu hören: »Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte und tat’s nicht.«

»Als Gott ihr Tun sah … Gott hatte gesehen, was sie getan hatten. Er hatte ihr schlechtes, verkehrtes Tun gesehen. Gott hatte das Unrecht, die Bosheit, alle Unterdrückung und Gewalttat nicht länger mit ansehen können. Darum hatte er Jona geschickt, dass der es ihnen sagen sollte: So geht es nicht weiter.

Und dann hatte Jona gesprochen, vielleicht nicht als großer Seelsorger, aber doch als Bote Gottes. Jona hatte ausgerichtet, was auszurichten war.

Selten hat eine so kurze Predigt so große Veränderung bewirkt! Wie viel Jona gleich davon mitbekommt, dass sich die Leute besinnen und dass der König einen neuen Weg für alle anordnet, wie viel Jona davon mitbekommt, erfahren wir nicht.

Doch wir hören: Gott sieht es. Gott sieht, wie Menschen umkehren. Er sieht, wie sie, Groß und Klein, ein neues Leben anfangen. Er hört, wie sie zu ihm rufen – aus Angst um ihr Leben, und ja: auch aus einem zweiten Grund: weil sie immer noch hoffen.

Sie hoffen verwegen. Aber sie hoffen nicht vergeblich. Gott sieht noch einmal hin. Er sieht die Umkehr der Menschen in Ninive und nimmt sie ernst. So ernst nimmt er ihre Umkehr, dass er selber umkehrt! Er lässt seinen ersten Plan fallen. Sein Erbarmen ist noch größer als sein Zorn. Die Menschen kehren konkret um – und Gott kehrt ebenfalls um. »Es reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und er tat’s nicht.«


IV. Ein langsamer Gott

Die Bibel bezeugt einen Gott, der langsam ist in seinem Zorn. Zorn gibt es bei Gott, darüber müssen wir uns im Klaren sein. Den dürfen wir nicht einfach ausblenden. Aber Gott ist nicht jähzornig. Er hat keinen blinden, vernichtenden Zorn. Sondern in seinem Zorn hat er immer noch den Menschen im Blick. In seinem Zorn schwingt immer noch Liebe mit, ein Ringen um den Menschen. Und Gott ist nicht jähzornig, sondern langsam in seinem Zorn.

Es ist Gottes Art, abzuwarten. Manchmal viel länger als wir es tun würden. Er mahnt und warnt, bittet und ruft, er wartet zu mit seinem Zorn.

Gott gibt den Menschen Zeit, dass sie umkehren – und gibt sich selber Zeit, auf Entwicklungen zu reagieren.

Vierzig Tage Zeit! In vierzig Tagen kann viel geschehen! Die Zahl Vierzig kommt als Zeitangabe (vierzig Jahre bzw. vierzig Tage) in der Bibel auffallend oft vor. Das hängt damit zusammen, dass es sich dabei um eine symbolische Zahl handelt: Während Vier für Ganzheit oder Vollständigkeit steht (vier Himmelsrichtungen, vier Jahreszeiten), repräsentiert das Zehnfache von Vier das volle Maß einer Zeit, die durch eine besondere Qualität bestimmt war.

Vierzig Tage hielt der Regen der Sintflut an (1. Mose/Genesis 7,12). Vierzig Tage bleibt Mose auf dem Berg Sinai und empfängt von Gott Anweisungen für den Bau des Heiligen Zeltes und für den Priesterdienst (2. Mose/Exodus 24,18). Gestärkt von Gottes Engel, kann Elija vierzig Tage ununterbrochen wandern, bis er den Gottesberg Horeb erreicht (1. Könige 19,8). Und eben vierzig Tage beträgt die Frist, die der Prophet Jona den Menschen von Ninive bis zu dem Strafgericht nennt, durch das Gott die Stadt vernichten wird (Jona 3,4). Und auch im Neuen Testament spielt die vierzig eine Rolle. So bleibt Jesus nach seiner Auferstehung 40 Tage noch auf Erden bevor er gen Himmel fährt.

Hier bei Jona sind die vierzig Tage die vollständige Zeit der Buße und Umkehr. Die Leute in der großen Stadt haben die Zeit genutzt. Sie sind zur Besinnung gekommen, haben die nötigen Entscheidungen schnell getroffen – und hatten dann noch genug Zeit, ihren Absichten Taten folgen zu lassen.

Wie es scheint, hat Gott sich darüber gefreut. Die Menschen tun nicht länger, was Unrecht ist. Und Gott tut nicht, was er hatte tun wollen.

»Es reut ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht.«

Gott verschont die Stadt. Groß war sein Zorn – und noch größer ist sein Erbarmen. Gott sieht genau hin, macht eine genaue Bestandsaufnahme auch deines Lebens. Er sieht nicht einfach drüber hinweg. Aber er gibt uns auch die Gelegenheit eines Neuanfangs.

Wir haben es gehört: der Sonntag hat das Thema Gottes Einladung. Er lädt uns ein: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Ja, Umkehr wird nötig sein, diese Diagnose Gottes auch über unser Leben gesprochen, sollten wir uns gefallen lassen und sagen lassen. Aber es gilt auch: ich will euch erquicken. Gott hält Trost, Hilfe und neue Kraft für uns bereit. Wir dürfen heute neu anfangen unter dem Zuspruch der Vergebung, den wir am Beginn des Gottesdienstes erhalten haben.

Amen.