Predigt: Joh. 21, 15-19 am 01.05.2022

Liebe Gemeinde,

genau zuhören ist wichtig. Oft wird das Eigentliche zwischen den Zeilen gesagt. Stellen wir uns vor, wir bekommen zufällig folgendes Gespräch zwischen einem Ehepaar mit. Sie: "Du bist doch aber um halb acht bestimmt zu Hause?" – " Er: „Ja, Schatzi, ganz bestimmt!" Der Mann zieht die Jacke an, tritt noch einmal kurz vor den Spiegel und die Ehefrau fragt zum zweiten Mal: "Du weißt, ich brauche das Auto um halb acht pünktlich, du wirst doch da sein?" – "Gewiss, Punkt halb acht bin ich wieder zurück!" Es wird einem fast schon ein wenig peinlich, wenn die Ehefrau nun noch ein drittes Mal fragt, der Mann hat gerade die Wagenschlüssel eingesteckt und will aus der Tür: "halb acht also, und du kommst wirklich keine Minute später?" Wir müssen staunen, denn der Mann fährt immer noch nicht aus der Haut: "Nein, mein Schatz, du kannst dich darauf verlassen!"

Wir spüren: Hinter dem Frage- und Antwortspiel der beiden steht noch etwas anderes. Etwas uns Unbekanntes. Wenn wir einmal "zwischen den Zeilen" lesen, könnten wir vermuten: Der Mann muss die Frau schon mindestens einmal schwer enttäuscht haben. Er ahnt, warum seine Frau so bohrend nachfragt. Würde er sonst so ruhig bleiben, wenn er gleich dreimal gefragt wird? Und würde die Ehefrau denn dreimal fragen, wenn der Mann stets verlässlich gewesen wäre?

Um allen Missverständnissen vorzubeugen: die Rollen könnten auch entgegengesetzt verteilt sein.
Es gibt ein Gespräch zwischen Jesus und Petrus, das trägt ähnliche Züge. Es hat nach Ostern stattgefunden, Jesus war also schon auferstanden. Er hatte gerade mit seinen Jüngern ein Osterfrühstück am Seeufer gehalten. Die Jünger hatten neuen Mut gefasst nach der schrecklichen Erfahrung des Karfreitags. Kurz vorher hatten Sie auch einen dicken Fang am See Genezareth gemacht, allerdings erst, nachdem Jesus ihnen einen heißen Tipp zum Angeln gegeben hat. Obwohl er völlig unlogisch war, hat er funktioniert. Nun genießen sie die Früchte dieses reichen Fangs und essen gegrillten Fisch. Plötzlich ganz unvermittelt beim Essen spricht Jesus Petrus an:

Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer!
16 Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!
17 Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!
18 Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst.
19 Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach!

Was lesen wir hier "zwischen den Zeilen"? Jesus scheint Grund zu haben, seinen Jünger Petrus dreimal zu befragen. Und wir brauchen hier nicht den Grund des Verhaltens vermuten - wir kennen den Grund: Zweimal hatte der Hahn gekräht in der Nacht, in der Petrus seinen Herrn verließ und dreimal verleugnete. Und hier - ein paar Tage nach dieser Nacht - begreift Petrus sehr wohl, warum ihn der Herr dreimal so peinlich genau fragt; deshalb braust er auch nicht auf. Er weiß, er hat vor wenigen Tagen genug Anlass gegeben, dass man an ihm zweifelt. Und wie hatte er zuvor den Mund noch so voll genommen: "Auch wenn ich mit dir sterben müsste, so will ich dich nicht verleugnen"! Was waren die eigenen - großen - Worte in jener Nacht des Karfreitags schwer auf ihn gefallen, als der Hahn krähte. Wie hatte er geweint und bereut!
Ja, der Herr hatte allen Grund, ihn wieder und wieder zu fragen: "Petrus, hast du mich lieb?"

Denken wir an die Zeit, in der Jesus mit seinen Jüngern durch Palästina wanderte, lehrte, wirkte und verkündigte. Hatte nicht gerade dieser Petrus die Macht und die Liebe des Herrn in ganz besonderem Maße erfahren? Schon die erste Begegnung bei seiner Jüngerberufung: ein wunderbares Geschehen. Die ganze Nacht hatten sie nichts gefangen und dann, auf Jesu Wort hin, fahren sie noch einmal hinaus und tun einen Fang, dass die Netze fast zerreißen. Und dann, eine ganze Zeit später, bei der Fahrt über den See: Jesus kommt über das Wasser und Petrus tritt auch hinaus auf die Oberfläche des Sees, tut einen Schritt und noch einen und noch einen und dann kommt der Zweifel und er beginnt zu sinken - doch der Herr ergreift ihn, hält ihn mitten im Sinken fest und holt ihn wieder hinauf aus dem Strudel, der ihn nach unten zog. Hatte Petrus nicht erlebt - viel mehr und viel klarer, als die anderen Jünger - wer dieser Jesus ist? Und hatte nicht gerade auch er das eindrucksvoll in die Bekenntnisworte gefasst: "Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!" Und war nicht gerade ihm diese ganz besondere Aufgabe zuteil geworden: "Du bist Petrus, der Fels auf den ich meine Gemeinde bauen will."?

Doch dann war diese furchtbare Nacht vor dem Tod des Herrn gekommen, die Nacht der Angst, der Verleugnung, der bitteren Tränen und der Scham. O ja, Petrus verstand den Auferstandenen, wenn er wieder und wieder fragte: Petrus, liebst du mich? Er hatte Anlass zum Misstrauen gegeben, Anlass zum Zweifel an seiner Liebe zum Heiland.

Sprechen wir jetzt über uns, denn dieser Petrus hat mit uns zu tun und was er erlebt hat, haben wohl auch viele von uns erlebt: Berufung, jedenfalls in dem Sinn wie es der Kreuzestod zum Ausdruck bringt: "Du gehörst zu mir, für dich habe ich gelitten, für deine Schuld bin ich gestorben; ich erhebe Anspruch auf dich, auf dein ganzes Leben!" Jeder von uns, jeder in diesem Land kann diese Botschaft hören oder hat sie vielleicht auch schon gehört. Unbewusst bei der eigenen Taufe. Oder im Heiligabendgottesdienst. Oder bei anderen Gelegenheiten. Oder bei der Konfirmation. Im Verlauf dieses Gottesdienstes damals haben viele von uns ihr Ja zu einem Leben mit Gott gesagt. Öffentlich vor der ganzen Gemeinde haben wir sinngemäß bekannt: "Du Jesus Christus, du sollst auch mein Herr sein, dir will ich mich anvertrauen, mit dir will ich mein Leben gestalten." Die meisten von uns haben wohl früher oder später so ein Bekenntnis abgelegt. Was ist daraus geworden?

Und auch die weiteren Erfahrungen des Petrus sind uns nicht fremd: Petrus fuhr hinaus auf die Höhe des Meeres und machte reichen Fang – Auch wir erfuhren im Laufe unseres Lebens Gnade, Hilfe Gottes. Manchmal haben wir es gar nicht gemerkt. Manchmal ahnten wir etwas davon, dass da ein anderer seine Hand im Spiel gehabt hat. Immer wieder hat Gott in unser Leben eingegriffen, ob wir es gemerkt haben oder nicht. Wer weiß, ob mancher von uns sonst nicht schon längst untergegangen wäre im Strudel des Lebens und dieser Welt? Wie Petrus, wenn ihn damals der Herr nicht noch herausgerissen hätte. Hat uns Gott nicht auch schon vor manchen Untergängen bewahrt? Haben wir nicht alle heute in der Rückschau Grund zur Dankbarkeit? Gott hat uns Halt gegeben in den Wogen des Lebens, er hat uns immer wieder vor dem Untergehen bewahrt. Und wie viele unbeschwerte Jahre hat er uns nicht auch geschenkt?
Wirklich, Petrus ist wie einer von uns. Und deshalb geht uns auch das Gespräch etwas an, das Jesus mit Petrus führt. Ich für mich fühle mich dabei wie Petrus. Ich muss von mir sagen: ich habe genauso versagt wie Petrus. Vielleicht große Worte gemacht, viel versprochen, viel verkündigt – aber wie beschämend war manchmal das Ergebnis im praktischen Leben! Wie oft klafft das was wir sagen und was wir leben auseinander. Auch als Pfarrer kann ich mich manchmal Menschen nur noch um Entschuldigung bitten. Verkündigter und gelebter Glaube, das sind manchmal zwei Welten.

Ich denke, jedem von uns fallen da Erlebnisse ein. Erlebnisse, bei denen wir genau wussten, was wir hätten tun sollen. Aber wir haben es nicht getan. Es tat uns ja leid hinterher, aber - zu spät. Wie bei Petrus in jener Nacht: Weggelaufen, Angst gehabt, verleugnet andere Menschen und unseren Glauben...und dann die große innere Leere. Das Gefühl, ja die Gewissheit, versagt zu haben. Und dann?

Jesus spricht damals zu Petrus: "Petrus, hast du mich lieb?" Und Petrus antwortet: "Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe!" Der Herr fragt auch uns heute, wie wir zu ihm stehen. Uns alle. Wir müssen es uns schon gefallen lassen, wenn er uns heute mal wieder fragt: Hast du mich wirklich lieb? Jetzt, nach vielleicht so vielen Jahren auf dem Glaubensweg? Hast Du mich wirklich lieb? Würdest Du, wie vielleicht vor vielen Jahren oder Jahrzehnten an deiner Konfirmation noch einmal Ja sagen, dieses Mal vielleicht sogar bewusster und tiefer als damals?

Petrus antwortet: „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.“ Und der Herr spricht zu Petrus: Weide meine Lämmer! Jesus vertraut dem wieder, der ihn so im Stich gelassen hat! Der Herr vergibt ihm, die Schuld steht nicht mehr zwischen Jesus und ihm. Und Jesus traut Petrus etwas zu: Weide meine Schafe! Kümmere dich um meine Leute, meine Gemeinde. Was für ein Auftrag! Solch eine Aufgabe überträgt man nur einem, dem man wirklich vertraut!

Wollen wir jetzt nicht auch noch das für uns in Anspruch nehmen? Jesus vergibt uns, wo wir versagt haben. Gott ist nicht nachtragend, wie wir oft. Oh, was höre ich da manchmal für Geschichten von gegenseitigen Verletzungen, Streitereien und Eifersüchteleien, die schon unendlich lange zurückliegen. Da pflegt man seine Konflikte bis hinein in die Leichenhalle. Und nimmt sich mit dem ewigen Nachtragen selbst ganz viel vom inneren Frieden.

Wir können heute neu anfangen. Die Vergebung wurde uns heute im Gottesdienst schon zugesprochen. Und nun: Jesus traut uns etwas zu! Petrus bekommt damals einen gewaltigen Auftrag von Jesus zugesprochen, nämlich die Gemeinde Jesu Christi zu leiten. Jesus schaut gar nicht mehr auf seine Vergangenheit. Und so entsteht geistlich gesehen ein neuer Petrus. Einer, der auch zukünftig nicht immun ist gegen das Scheitern und Versagen, aber einer der neu von der Liebe Gottes beschenkt wird.

Liebe Gottesdienstbesucher, wenn Sie das heute hier in diesem Gottesdienst erleben und glauben können, dass Gott Sie heute ganz neu annimmt, dann hat sich der Weg heute in die Kirche gelohnt. Jesus Christus spricht neu seinen Segen über unserem Leben aus. Er, der in der Vergangenheit treu zu uns gestanden hat, wird dies auch in Zukunft tun.

Auch dann, wenn uns manchmal Wege erwarten, die wir nicht so mögen. Auch das hat Jesus ja Petrus vorausgesagt. 18 Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst. Bei Petrus deutet das darauf hin, dass er bei der Christenverfolgung unter dem Kaiser Nero in Rom wahrscheinlich gekreuzigt wurde. Solange bei uns keine Christenverfolgung herrscht, werden diese Worte bei uns wohl anders Gestalt annehmen. Aber auch das Älterwerden oder das Erkranken an einer schweren Krankheit hat manche Züge dessen, was Jesus Petrus vorhersagt. Um es in der Sprache der jungen Leute zu sagen: Jesus nachzufolgen ist kein Weg für Weicheier und Warmduscher.

Aber als Nachfolger Jesu wissen wir uns auch in den schweren Wegen gehalten. Ich erschrecke manchmal selbst, wie schwere Wege Menschen auch unter uns geführt werden, auch gerade ganz aktuell. Und ich finde längst nicht auf alles, was mir da zu Ohren kommt und zu Herzen geht, eine theologisch klare Antwort. Aber an eines klammere ich mich und daran will ich immer festhalten: auch in den tiefsten Tiefen ist Jesus da, ob ich ihn spüre oder nicht.

Heute ist der Hirtensonntag. Und der gute Hirte lässt seine Schafe nicht im Stich. Es geht manchmal über sehr raue Wege. Wir verletzen uns und es geht uns schlecht. Aber der Hirte ist und bleibt da. Wenn dann bin ich es als Schaf, das ihm weggelaufen ist. Aber er geht nach, sucht und findet mich. Und bringt mich heim. Der Wochenspruch bringt das im Bild des guten Hirten fürsorglich zum Ausdruck: „Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.“ In dieser Hoffnung und Gewissheit mit dem guten Hirten an der Seite lässt es sich getrost weiterleben. Neu angenommen, neu beschenkt mit der Vergebung. Aber auch neu beauftragt, Jesu Liebe in Wort und Tat weiterzusagen. Also: mach dich auf den Weg! Amen.

Verfasser: Pfarrer Friedemann Wenzke, Dr. Martin Luther Str. 18, 95445 Bayreuth, Tel: 0921/41168; E-Mail: friedemann.wenzke@elkb.de