Karfreitag 15.04.2022, Kreuzkirche Bayreuth, Predigt: Lk. 23, 33-49

Liebe Gemeinde,

wir hören auf den Predigttext für den heutigen Karfreitag aus dem Lukasevangelium, Kapitel 23, die Verse 33-49:

(33) Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken.
(34) Jesus aber sprach: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum.
(35) Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat anderen geholfen, er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes.
(36) Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig
(37) und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber.
(38) Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König.
(39) Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns.
(40) Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Fürchtest Du nicht einmal Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist?
(41) Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsere Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.
(42) Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst.
(43) Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.
(44) Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde,
(45) Und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei.
(46) Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.
(47) Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser Mensch ist ein Gerechter gewesen.
(48) Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um.
(49) Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.

Liebe Gemeinde,

eine drei Kreuze- Predigt bekommen Sie heute zu hören. Drei Kreuze kommen in unserem Bibelabschnitt vor und unter einem dieser drei Kreuze stehen Sie und ich.

Aber zunächst kommt uns bei der Redewendung „drei Kreuze“ ja etwas Anderes in den Sinn. Es ist eigentümlich, was einen da in der deutschen Sprache alles einfällt. Drei Kreuze muss man bei manchen Wahlen machen. Oder wir denken an einen Analphabeten, der, weil er nicht schreiben kann, statt einer Unterschrift drei Kreuze macht. Und dann gibt es noch die Redensart, dass man drei Kreuze macht, wenn eine schwere Arbeit hinter einem liegt.

Und ein bisschen scheint das alles hineinzuspielen: das mit der Wahl, mit der Unterschrift und der schlimmen Zeit, die zu Ende geht, wenn der Evangelist Lukas uns jene drei Kreuze vom Hügel Golgatha vor den Toren Jerusalems vor Augen stellt.

Die Wahl ist: unter welchem Kreuz stehen wir denn? Welches Kreuz haben wir gewählt? Die Unterschrift mit den drei Kreuzen spielt darauf an, dass manchen unserer Zeitgenossen die Botschaft des Kreuzes töricht und dumm vorkommt. Und schließlich: Mit den drei Kreuzen geht eine ernste Zeit, die Passionszeit zu Ende und liegt hinter uns.

Drei Kreuze stehen uns also heute vor Augen. Schauen wir sie uns einmal genauer an. Zunächst das Kreuz in der Mitte, an dem Jesus hängt. Schmählich haben Sie ihn zugerichtet. Mit Striemen und einer Dornenkrone auf dem Kopf haben sie ihn durch die Stadt getrieben und wie ein Stück Vieh zur Schlachtbank geführt. Eine grölende, gaffende Menschenmenge im Gefolge. Auf dem Hügel Golgatha wird er schließlich ans Kreuz geschlagen. Warum?

Das weiß eigentlich niemand so genau. So richtig was zuschulden kommen lassen hat Jesus sich eigentlich nicht. Klar, in den Augen mancher Frommer hatte er eine große Klappe und war ein religiöser Spinner. Was der alles für sich in Anspruch nahm! Wie sehr er seine enge Verbindung zu Gott betonte! Und die zahlreichen Wunder- da kam das religiöse Denksystem der damaligen Zeit schon ganz gehörig ins Trudeln. Dann lieber nichts wie weg mit diesem religiösen Unruhestifter!

Andere waren enttäuscht, dass Jesus sich so wenig von der Politik einbinden ließ. Wenn er schon so viel Macht für sich in Anspruch nahm, warum jagte er dann nicht die römische Besatzungsmacht aus dem Land? Warum beendete er nicht die drückende Fremdherrschaft in Palästina? Und jetzt ließ er sich sogar von einem römischen Statthalter verurteilen. Von diesem Pontius Pilatus, einem Menschen ohne Rückgrat, der nach der Stimmung und der Laune der Masse urteilte und verurteilte.

Jesus am Kreuz, einer der mit hohen Ansprüchen angetreten war und nun scheinbar gescheitert war. Wenn er wirklich Macht hätte, würde er doch jetzt vom Kreuz steigen und vor aller Augen zeigen, wer hier eigentlich der Herr der Lage ist mitten in all dem schrecklichen Geschehen.

Jesus aber tut etwas ganz Anderes. Etwas, wo einem schier der Atem stocken kann. Jesus betet zu Gott: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Auf den ersten Blick: Keine eindrucksvolle Machtdemonstration, sondern ein stilles Gebet, vielleicht in dem ganzen Umtrieb unter dem Kreuz von vielen überhört. Nicht gerade medienwirksam. Und doch so bleibend, dass es uns heute nach über 2000 Jahren noch überliefert ist. „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

Ich behaupte allem sichtbaren zum Trotz ist dies eine der eindrucksvollsten Machtdemonstration überhaupt. Wer mitten im tiefsten erlittenen Unrecht so für andere beten kann, der hat Macht. Der hat Macht über die eigenen Racheempfindungen. Der hat Macht über die Grausamkeit der Menschen, weil er ihr einen noch mächtigeren Gegenpol entgegensetzt: die Vergebung. Die Vergebung ist der größte Machtbeweis Gottes in dieser Welt und in unserem Leben. Das Kreuz von Jesus ist der sichtbare Beweis in dieser Welt, dass für uns Vergebung bereitliegt. Auch heute hier im Gottesdienst nachher in der Feier des Heiligen Abendmahls. Hier können wir heute ganz neu anfangen. Das ist die Botschaft des Kreuzes von Jesus in der Mitte: Gott hält einen Neuanfang für uns bereit.

Das Kreuz von Jesus steht in der Mitte. Links und rechts von ihm steht auch noch ein Kreuz. Jesu Kreuz scheidet die beiden und es scheidet die Welten, denen sie angehören. Und es scheidet die Menschen bis heute.

Da ist der eine der Übeltäter. Er lästert: „Bist du nicht der Christus? Dann hilf dir doch selbst und rette auch uns!“

Hier spricht einer, der ganz und gar auf sich selbst bedacht ist. Für ihn bedeutet Rettung nur: Jetzt herabsteigen vom Kreuz, machtvoll und aufsehenerregend und dann weiterleben wie bisher. Gewiss glaubt er nicht daran, dass Jesus helfen könnte. Aber wenn er es täte, dann verschwände der Lästerer wahrscheinlich ohne Dank in der Menge, würde sich die schmerzenden Hände reiben und spräche zu sich selbst: „Noch einmal davongekommen. Das nächste Mal wirst du vorsichtiger sein und dich nicht erwischen lassen.“ Kein Gedanke daran, dass vielleicht nach dem Tod noch etwas kommt, dass hinter dem Kreuz das Leben liegt. Nein, dieser Mensch hat Jesus nicht verstanden. Er hängt nur ein paar Meter neben ihm und doch weltenfern.

Dieser Mensch hat bis heute viele Kollegen in unserer Welt. Da macht man seine drei Kreuze nur bei dem, was vor Augen ist: Geld, Ansehen, Kraft, die Mitte allen Denkens ist allein das irdische Leben. Eine Hoffnung darüber hinaus gibt es nicht. Der Tod ist der Schlussstrich. Darum müssen die Jahre angefüllt werden mit allem, was in dieser Welt zählt. Christus, wenn er überhaupt etwas bedeutet, mag dafür sorgen, dass dieses Leben möglichst lange so weitergeht. Und wenn dann mal Schwierigkeiten kommen, dann soll er als Nothelfer zur Verfügung stehen: „Bist du der Christus, dann hilf dir selbst und rette auch uns.“ Und wehe, wenn er dann nicht so tut wie man es sich als Mensch vorgestellt hat. Enttäuschung und Ablehnung, manchmal sehr radikal, ist die Folge. Man denkt, man könne sich Gott gefügig machen, aber der denkt gar nicht daran. Gott ist nicht so wie ein Lutschbonbon, den man schnell mal nimmt, wenn die Halsschmerzen da sind und dann löst er sich auf und man braucht nicht mehr weiter nach ihm fragen. Nein, so lässt sich der wirkliche, wahre Gott nicht abspeisen. Das sind selbstgemachte Götter, mit denen wir so umgehen können, aber nicht der heilige Gott.

Und dann ist da noch der andere neben Jesus am Kreuz. Ob er ganz begreift, wen sie da mit ihm gekreuzigt haben? Ich weiß es nicht. Aber er ahnt etwas davon. Immerhin sagt er: „Jesus ist unschuldig. Wir aber empfangen nur, was wir verdient haben.“ Er muss irgendwie spüren, dass im unschuldigen Leiden Christi die Erlösung der Welt liegt – und seine eigene auch. „Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst“, so redet er zu Jesus. Er hat einen Blick über den Tellerrand dieser Welt hinaus. Und er erkennt: „Mein Leben war ziemlich wertlos, wenn nicht jetzt noch eine Wende eintritt.“ Vieles was vorher all die Jahre in der Rangliste der Ziele ganz oben stand, wird angesichts des nahenden Todes zweitrangig. Und manches, was im zurückliegenden Leben schwierig lief, kann zunehmend bedrängend werden.

Mitten in diese Gefühlslage hört er die befreienden Worte Jesu: „Noch heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Dort ist Freude, Leben und Zukunft.

Was für eine große Zusage Gottes!

Liebe Gemeinde, das sind die zwei Welten, die sich am Kreuz von Jesus scheiden. Nicht nur bei den beiden Schächern am Kreuz, auch bei den Menschen unter dem Kreuz.

Da sind die einen, die Oberen des Volkes und die Soldaten, die spotten: „Er hat anderen geholfen, nun soll er sich doch selber helfen.“

Und da sind die anderen, das Volk und der Hauptmann, die erkennen, dass sich hier etwas Besonderes abspielt. Das Volk schlug sich an ihre Brust, so heißt es da. D.h. soviel wie: es kommt ins Nachdenken über sich selbst. Und der Hauptmann, ein römischer Bürger, der mit dem Glauben an Gott eigentlich nichts am Hut hatte, kommt mitten unter dem Kreuz von Jesus ein Lob auf Gott über die Lippen.

Zwei Positionen unter dem Kreuz: Zustimmung oder Ablehnung. Mehr scheint es nicht zu geben. Vielleicht kommt ihnen diese Unterscheidung ein bisschen grob vor: Gibt es nicht noch viele andere Haltungen, wie man zu Jesus Christus stehen kann? Muss man das Ganze nicht noch etwas differenzierter sehen? Tut es nicht ein bisschen Religion auch?

Mir ist diese Kreuzeserzählung zu einer ernsten Warnung geworden. Es stehen eben nur zwei Kreuze neben Jesus. Das eine bezeichnet Ablehnung, das andere Zustimmung, Ja oder Nein. Ein „Vielleicht“ gibt es in dieser Sache offenbar nicht. Entweder ich sehe das Ganze von links vom Kreuz her an und bin dann fertig mit Jesus. Er ist dann für mich ein Leichnam der Vergangenheit. Oder ich sehe das Ganze von rechts vom Kreuz her an und lasse mir seine Gnade zusagen. Denn wir sind teuer erkauft. Wir waren Gott einen Christus wert, seinen geliebten Sohn. Einen Christus, der unsere tiefsten Punkte kennt und durchlitt. Einen Christus, der uns aufruft, ganz zu ihm zu gehören. Links oder rechts vom Kreuz – wo stehst du? Wo stehe ich?

Amen.

Verfasser: Pfarrer Friedemann Wenzke, Dr. Martin Luther Str.18, 95445 Bayreuth, Tel: 0921/ 41168, E-Mail: friedemann.wenzke@elkb.de