Neujahr 2022 - Kreuzkirche 17 Uhr - Jahreslosung Joh 6, 37

Gnade sei mit euch und Friede, von Gott, dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen. Wir wollen in der Stille um den Segen Gottes für diese Predigt bitten: … Herr, wir bitten dich, erhöre uns. Amen.
Am Anfang des neuen Jahres soll ein einladendes und Mut machendes Wort unseres Herrn Jesus Christus stehen, das als Jahreslosung dem vor uns liegenden Jahr zugeordnet ist. Es ist aus dem 6. Kapitel des Johannesevangeliums der 37. Vers.

Er lautet:

Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.

Wir begrüßen das neue Jahr, es liegt mit seine 365 Tagen einladend vor uns wie ein neues Land! Aber auch ein unbekanntes Land. - Wir kommen, manche unter uns erschöpft, an der Schwelle von der alten zur neuen Zeit an. Ein anstrengendes Jahr liegt hinter uns. Es war auch ein bedrohliches Jahr. Ein Jahr, das wir so nicht noch einmal erleben möchten.

Doch wir sind voller Hoffnung, dass 2022 besser werden möge und unser Leben wieder sicherer. Wir wünschen uns endlich wieder mehr Nähe und mehr unbeschwerte Gemeinschaft. In Gottesdiensten wollen wir wieder von Herzen singen und etwas näher zusammenrücken dürfen. Vielleicht sogar wieder ohne Masken einander offen zulächeln können.

Als Christen gründen wir diese Hoffnung nicht allein auf Wissenschaftler, AHA-Regeln und die pharmazeutische Industrie, sondern vor allem und neben aller menschlichen Vorsicht auf den Herrn, von dem wir glauben, dass unsere Zeit in seinen Händen steht. – Wie zur Bestätigung dieser biblischen Wahrheit habe ich gestern hier bei der Abendmahlsfeier eben diesen Vers, Ps 31,16 auf dem Spruchkärtchen gezogen: Meine Zeit steht in Gottes Händen. Wer das für sich nimmt, darf doch voll Zuversicht leben, selbst in bedrohlichen Zeiten. Ich weiß mein Leben und meine Zeit stehen in Gottes Händen. In seinem, in Gottes Namen wollen wir das neue Jahr beginnen und Jesus soll die Losung sein. – (So haben wir es vorhin gesungen/gehört.)

Wenn wir mit Jesus rechnen, werden wir an der Tür des neuen Jahres von ihm mit diesem Satz empfangen, der so unheimlich guttut. Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. Niemand, der kommt, steht vor verschlossener Tür. Wo gibt es den sowas? Genau das wünschen wir uns doch alle. Nicht abgewiesen, sondern angenommen werden. Ohne Einschränkungen! Aber ist es nicht auch ein gewagter Satz, den Jesus hier spricht? Ist der tatsächlich von den Evangelien gedeckt? Findet sich da nicht doch irgendein Bericht in den Evangelien, wo Jesus jemanden abgewiesen hat? – Was meinen Sie? Fällt ihnen da etwas ein?- Auch wenn ich gründlich nachdenke und ernsthaft suche. Mir fällt keine Geschichte dazu ein.

Nicht der Ratsherr Nikodemus (Joh 3), der bei Nacht zu Jesus kommt mit seinen Zweifeln und Fragen. Er ist ein Lehrer in Israel und weiß doch nicht, dass man durch Wasser und Geist von neuem geboren werden muss, wenn man ins Reich Gottes kommen will. Jesus lässt ihn zu später Stunde ein, stellt sich seinen Fragen und erklärt ihm alles sehr geduldig und freundlich. Er ist ja von Gott nicht als Richter in die Welt geschickt worden, sondern als Retter. Der Retter, Jesus, weist keinen ab, der Rettung braucht.

Auch nicht die samaritanische Frau (Joh 4,1ff) am Jakobsbrunnen mit ihrer zweifelhaften Vergangenheit. Er macht ihr zwar deutlich, dass er ihre Beziehungsprobleme kennt, aber er verachtet sie deswegen nicht. Auch die religiöse Kluft zwischen Juden und Samaritern führt nicht dazu, dass Jesus die Frau, von der wir nicht einmal den Namen wissen, abweist. Ja er gibt sich ihr sogar selten klar als der Messias zu erkennen (4,26), der von Gott angekündigte Retter der Welt: „Ich bin’s, der mit dir redet.“

Und auch die sogenannte „Sünderin“ (Luk 7,36f), die Jesu Füße mit ihren Tränen netzt, mit ihren Haaren trocknet und ihm die Füße küsst bekommt für diese Zudringlichkeit keine Abweisung. Im Gegenteil! Jesus blickt sie freundlich an und lässt sich ihre Zuneigung zum Entsetzen aller Anwesenden gefallen. Vom Hausherrn, dem Pharisäer Simon dafür kritisiert, nimmt er diese Frau des horizontalen Gewerbes sogar in Schutz und spricht ihr vor aller Ohren die Vergebung ihrer Sünden zu. Nicht abgewiesen, obwohl es triftige Gründe dafür gegeben hätte.

Nicht einmal der römische Hauptmann (Matth 8,5ff), mit der Sorge um seinen schwerkranken Mitarbeiter wird von Jesus zurückgewiesen, weil er schließlich als Heide nicht zum Volk Gottes gehöre. Im Gegenteil, Jesus lobt sogar vor den ganzen Leuten seinen vorbildlichen Glauben. - Es findet sich einfach niemand, der zu Jesus kommt und den er abweist. – Oder wüssten Sie jemanden?

Einmal, da war es ganz knapp dran: Jesus suchte im nahen Ausland Ruhe. Er wollte mal einige Tage nicht erkannt und nicht bedrängt werden. Aber eine Mutter, sie ist keine Israelitin, spürt ihn trotzdem auf und tritt mit ihrer großen Bitte an den Meister heran. Zuerst scheint es, als bekäme sie kein Gehör. Dann aber hört der Herr die Frau aus Syrophönizien (Markus 7,28ff) doch noch an, befreit ihre kranke Tochter von einem bösen Geist und die Mutter von ihrer Sorge. Warum? Weil sie sich nicht abwimmeln lässt und weil sie sich vor Jesus und seinem ganzen Gefolge so demütigt.

Nein, Jesus weist niemanden ab. Im Gegenteil! Er ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist (Luk 19,10). Man könnte sogar sagen, er sucht und sammelt gerade Abgewiesene, Ausgegrenzte und Abgelehnte. Frauen, Männer und sogar Kinder. Wer kennt nicht seine Ermahnung an die Jünger (Mark 10,14): Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret Ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes.

Jesus legt sich sogar häufig mit den Ausgrenzern an und ergreift das Wort für die als Sünder Ausgegrenzten: (Joh 8,7): Wer von euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Nein, Jesus, der im Auftrag Gottes als Mensch zu uns Men-schen gekommen ist, weist nicht ab. Nicht einmal die, die ihn abgewiesen haben. Obwohl er selber von Geburt an abgewiesen wurde und noch heute von Vielen abgewiesen wird: Mit Jesus kann ich nichts anfangen. Sagen sie, ohne einen ernsthaften Versuch gemacht zu haben. Der so oft abgewiesene kann sogar am Ende vom Kreuz aus für die beten, die seine letzte Abweisung in die Tat umsetzen: Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Dabei hat er selbst immer wieder erlebt, was abgewiesen sein bedeutet. Wer Jesus abweist, weiß wirklich nicht, was er da tut.

Schon kurz vor seiner Geburt, noch im Mutterleib wurde er zusammen mit seinen verzweifelten Eltern abgewiesen. - In diesen Tagen haben wir es wieder neu gehört. - In Bethlehem, war kein Raum in der Herberge. Er musste, als Abgewiesener und von Herodes Verfolgter die ersten Jahre seines Lebens im Exil verbringen. Im Flüchtlingslager und ohne Aufenthaltsgenehmigung.

Drei Jahrzehnte später, am Anfang seines öffentlichen Wirkens, wurde er in Samaria abgewiesen, weil er Jude auf dem Weg nach Jerusalem war. Selbst in der Synagoge seiner Heimatstadt Nazareth hatte man ihn abgewiesen, aus der Stadt gedrängt und hätte ihn beinahe getötet. Von der geistlichen Elite und Obrigkeit wurde Jesus stets abgewiesen als einer, der sich zu Unrecht als Messias zu erkennen gab.

Er bleibt trotz aller Abweisung dabei: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen! Jede und jeder darf ihn aufsuchen. Gibt es keine Bedingung? Nein! Oder doch? Wer zu mir kommt… Jesus nervt nicht, er drängt sich nicht auf. Er stalkt (bedrängt) niemanden. Aber kommen müssen wir schon, um die Erfahrung zu machen: Ich werde nicht abgewiesen. Obwohl ich so bin, wie ich bin. Trotz meiner Vergangenheit. Jesus kennt auch meine Vorgeschichte und weist mich trotzdem nicht ab. Er ist im Bilde über mich und meine Fehler, meinen Egoismus, mein manchmal abgründiges, hochmütiges Denken und liebloses Handeln oder tatenloses Mitansehen. Er weiß um die Tiefen meiner Seele. Trotzdem wendet er sich nicht von mir weg und weist mich nicht ab. Kommen heißt, mit dem Unsichtbaren reden. Er hört!

Das ist die umwerfendste Erfahrung, die Menschen bei Jesus machen: Auch wenn sie ungeschönt ihre Vergangenheit vor Jesus ausbreiten, lehnt er sie nicht ab. Was hat Jesus schon für Leute eingestellt und umgestellt! Einen Petrus mit seiner großen Klappe, der dann doch kleinlaut schwieg, als es darauf angekommen wäre. Einen Paulus, der Christen bis aufs Blut verfolgte. Jesus spricht ihn an und nimmt ihn an. Er schenkt dem Saulus eine neue Sicht und eine neue Identität als Paulus. Ja, so mancher wurde von Jesus schon vom Saulus zum Paulus verwandelt, vom Verächter zum Verfechter des christlichen Glaubens, weil er von Jesus nicht abgewiesen wurde.

Abgewiesen ist ja ein furchtbares Wort und Abweisung eine schlimme, bittere Erfahrung: Abgewiesen als Bewerber auf eine Stelle, - um ein Stipendium. Als Liebender bei der Geliebten. Als Mieter bei der Wohnungssuche. Als Architekt mit einem mühsam und zeitaufwändig erstellten Entwurf.

Als Asylbewerber abgewiesen – wie viele machten und machen diese Erfahrung – bis heute. Abgewiesen! Als Schauspielerin für eine Rolle, als Musiker bei einem Orchester, als Antragsteller auf dem Amt, als Bittsteller an der Tür von reichen Leuten. Die berechtigte Klage vom Gericht abgewiesen. Das wichtige Anliegen abgewiesen, weil niemand sich zuständig fühlt. Menschen können so abweisend sein, selbst in einer Ehe oder Familie.

Sammlerinnen und Sammler für die Diakonie oder Brot für die Welt wurden schon an vielen Türen abgewiesen. So Viele werden abgewiesen als Hungernde im Kampf ums Überleben. Als ungeborenes Kind von den eigenen Eltern abgewiesen. Als Patient bei einer Klinik – weil keine Hoffnung besteht. - In Corona Zeiten gab es an manchen Hotspots Triage – abgewiesen, weil nicht genügend Intensivbetten vorhanden waren und weil zu krank, zu alt und zu chancenlos.

Beim Jüngsten Gericht werden wohl einmal viele in der Welt Abgewiesene vortreten und ihre Geschichte offenbaren. Dann wird ihnen letzte Gerechtigkeit wiederfahren, weil sie vom Allerhöchsten und für alle Zeiten angenommen sein werden.

Das alles hängt an dem: Wer zu mir kommt… Wäre das nicht der beste Vorsatz für das neue Jahr: Ich will zu ihm kommen, zu Jesus. Mit allem, was mich bewegt. Mit meinen Sorgen und Ängsten, meiner Verzweiflung und Einsamkeit. Ich will mich auch immer wieder zu ihm aufmachen mit meiner Schuld, meinen Zweifeln und meinem Mangel an Liebe und Glauben. Ich will mit allem zu ihm kommen und bin gewiss, er wird mich nicht abweisen.

Was für ein guter Start ins neue Jahr: Zu Jesus kommen und alle Hilfe, allen Schutz, alle Sicherheit von ihm erwarten. So wie die vielen damals, von denen wir vorhin einige aufgezählt haben. Es hat noch nie jemand bereut, zu Jesus gekommen zu sein. Es ist noch niemals jemand abgewiesen worden, der zu ihm kam.

Der Pfarrer und Leiter von etlichen Berliner Missionsgesellschaften Gustav Knak hat im 19. Jahrhundert viele Lieder gedichtet, von denen manche auch noch heute in Gesangbüchern stehen und gesungen werden. Bekannt etwa das Sterbelied: Lasst mich gehen… oder das Abschiedslied: Zieht in Frieden eure Pfade… (Wir werden es am Ende des Gottesdienstes noch singen/hören). In einem anderen der zahlreichen Lieder von Gustav Knak lauten zwei Strophen:

Keiner wird zuschanden, welcher Gottes harrt,
sollt‘ ich sein der erste, der zuschanden ward?
Nein, das ist unmöglich, du getreuer Hort!
Eher fällt der Himmel, eh mich täuscht dein Wort!

Nun, so will ich‘s wagen, Herr auf dein Gebot.
Alle meine Sorgen, eigne, fremde Not,
all mein heimlich Grämen, alles, was mich quält,
dir ans Herz zu legen, der die Tränen zählt.

In diesem Vertrauen dürfen wir ruhig und voll Zuversicht von Tag zu Tag weitergehen in das vor uns liegende Jahr 2022. Wir werden von Jesus nicht abgewiesen, sondern sind durch ihn von Gott angenommen. Amen.

Verfasser: Martin Schöppel, Pfr. i. R., Martha Maria 5, 95488 Eckersdorf, 0921/53048417