Silvester 2021 Kreuzkirche. Predigt: Matth. 13, 24-30

Liebe Gemeinde,
am Ende des Jahres schauen wir zurück und fragen uns, was im vergangenen Jahr alles gewesen ist. Ich möchte jetzt nicht in die unzähligen Jahresrückblicke einstimmen. Bei jedem von uns wird die Bilanz unterschiedlich ausfallen. Und doch werden unsere Bilanzen in einem ähnlich sein. Es gab immer beides: Gutes und Schlechtes. Es gab Weizen und es gab Unkraut. Es gab Erfolge und auch Misserfolge!

Wir befinden uns jetzt bereits mitten in unserem Predigttext, der zumindest für Silvester neu vorgegeben ist. Denn auch hier ist von einer guten und einer schlechten Frucht die Rede. Wir hören auf Mt. 13, 24-30:

Er legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte.
25 Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon.
26 Als nun die Halme wuchsen und Frucht brachten, da fand sich auch das Unkraut.
27 Da traten die Knechte des Hausherrn hinzu und sprachen zu ihm: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut?
28 Er sprach zu ihnen: Das hat ein Feind getan. Da sprachen die Knechte: Willst du also, dass wir hingehen und es ausjäten?
29 Er sprach: Nein, auf dass ihr nicht zugleich den Weizen mit ausrauft, wenn ihr das Unkraut ausjätet.
30 Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um die Erntezeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündel, damit man es verbrenne; aber den Weizen sammelt in meine Scheune.

Da ist zunächst ein Mann, der voller Hoffnung Samen auf seinen Acker streut. Hundertfach, tausendfach, ja zehntausendfach fallen die Samenkörner auf die gute Erde. Der Bauer ist großzügig. Bald schon werden die ersten Körner keimen und sprossen. Dieses Hoffnungsbild steht am Anfang unseres Predigttextes.

Hoffnungsvoll packen wir Menschen die Dinge an!

Doch dann passiert, was nicht nur Gartenbesitzer gut kennen. Nicht nur der gute Weizensamen geht auf, sondern auch das Unkraut. Was eigentlich in der Natur der Sache liegt, nämlich dass das Unkraut aufgeht, ist hier allerdings ein bewusster und böswillig geplanter Anschlag. Ein Feind sät das Unkraut unter den Weizen. Die Kommentare sagen, dass es sich bei dem Unkraut um den sog. »Taumellolch« handelt. »Er gehört zur Familie der Gräser und ähnelt einem weizenähnlichen Gras, in dessen Körnern ein giftiger Pilz lebt. Bis zu 70 cm kann der Taumellolch groß werden und erst, wenn die Ähren vollständig ausgebildet sind, kann man den Weizen davon unterscheiden. Also eine ziemlich hinterlistige Pflanze.

Was Jesus im Gleichnis beschreibt, ist eigentlich etwas völlig Normales. Gärtner oder Landwirte wissen, wie lästig das Unkraut unter der guten Frucht ist und welche Mühe es kostet, das Unkraut zu entfernen. Das Gleichnis aber will uns auf etwas ganz Anderes aufmerksam machen. So nämlich geht es zu im Reich Gottes! Wenn Gott also seine Herrschaft im Leben eines Menschen aufrichten will, dann passiert genau das. Der Feind ist auch am Werk. Wer ist dieser Feind? Ist es der feindlich gesinnte Nachbar des guten Sämannes, der aus Neid oder Böswilligkeit seine Ernte verderben möchte? Oder ist es schlicht und einfach der böse Feind, der Teufel? Es wird hier nicht näher gesagt. Im Gleichnis vom vierfachen Ackerfeld aber ist von dem »Bösen«, der den Samen raubt, die Rede. Es gibt also einen, der mit »groß Macht und viel List«, den Bau des Reiches Gottes stören will. Nicht nur Gott baut sein Reich. Es gibt auch ein verborgenes, heimliches Reich des Bösen! Dieser Feind ist wachsam. Auch er sät. Immer ist irgendwie das Böse mit dabei. Ohne, dass man es will oder beabsichtigt. Im Kleinen wie im Großen ist das so.

Wäre das nicht schön, wenn unsere Gärten, unsere Weinberge oder unsere Felder nur gute, unbeschadete Früchte hervorbrächten? Kein Unkraut? Keine Schädlinge? Keinen Pilzbefall? Das wäre ein Traum. Oder: Wäre es nicht wunderbar, wenn es in unserer Gemeinde keinen Streit gäbe, keine Missverständnisse, wenn alle und jeder sich nach Gottes Wort und Willen ausrichten würden? Wären wir nicht gerne eine tadellose Gemeinde? Und nicht zuletzt: Wäre es nicht herrlich, wenn in unseren Sitzungen und Beratungen immer nur Weizen und nie nur Stroh herauskäme?

Die Realität sieht anders aus. Das Böse ist im Keim immer da. Sei es in Gedanken oder in Gefühlen oder in Worten. Selbst in der besten Freundschaft oder einer Ehe ist das so.

Aber es wächst immer gleichzeitig auch das Reich Gottes. Neben dem Unkraut wächst auch viel Gutes. Ein Beispiel: Wenn auch nicht in Deutschland, so wächst doch weltweit die christliche Gemeinde deutlich. Und auch bei uns kommen noch Menschen zum Glauben. Und es geschehen tagtäglich nicht nur schlimme Dinge, die in den Nachrichtensendungen gezeigt werden, sondern auch viel Schönes und Berührendes, das eben nicht gezeigt wird. Wir sollten unseren Blick für das Handeln Gottes schärfen und nicht immer nur auf das Böse schauen. Wer immer nur auf das schaut, was schief läuft in dieser Welt, der hat schon verloren. Auch in geistlicher Hinsicht. Wieviel Angst und Lähmung geschieht auch unter Christen, weil wir uns in den kühnsten Vorstellungen ausmalen, wohin das alles führen wird. Manche gefallen sich sogar bei diesen Gedanken und können sich gewissermaßen darin suhlen. Das ist aber nicht unser Auftrag. Wir sollen weder Pessimisten, noch Optimisten sein, sondern Realisten. Und realistisch ist, dass beides, Gut und Böse miteinander aufwächst und sogar eng verflochten ist. Das Unkraut wächst nicht abseits vom Garten, sondern mittendrin. Das Böse wächst nicht außerhalb der Kirche und des Glaubens, sondern mitten drin. Und sogar mittendrin im eigenen Herzen wächst das Gute und das Böse gleichzeitig. Wir sind also bei dem Gleichnis mitten dabei! Hier geht es nicht nur um andere, sondern auch um uns selbst. Auch in dir keimt beides auf. Auch Gottes Wirken, rede das nicht klein. Aber wundere dich auch nicht, wenn auch mal das Unkraut oben heraus schießt bei dir.

Das also ist die Situation, die Jesus beschreibt. Was soll man da tun? Für die Knechte des Landwirtes ist es klar, was zu tun ist. Sie wollen das Unkraut direkt beseitigen. Und Jesus? Er aber sagt: »Tut es nicht. Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte!« Wäre es nicht geboten, das Böse gleich zu vernichten? Ja, müssen wir nicht darauf achten, dass sich böse Gedanken, Zweifel, Unmut, Ärger und Zwietracht nicht in unserem Herzen festsetzen? Gewiss müssen wir das immer wieder. Und doch lässt Gott dem Bösen Raum. Böse Menschen lässt er gewähren. Diktatoren stürzt er nicht augenblicklich vom Thron. Warum nur hört der Kampf gegen das Böse in unserer Welt und im eigenen Herzen niemals auf?

Jesus gibt uns hier eine kluge, seelsorgerliche Antwort. »Lasst beides miteinander wachsen bis zur Ernte.« Einmal sagt er hier: Wenn ihr das Böse ausreißt, dann reißt ihr auch das Gute aus. Übertragen wir das auf unser Leben: Es um die Einsicht, dass in jedem von uns das Böse ist. Böse sind nicht nur die anderen. In mir schlummert die Missgunst, der Zweifel, der Neid und die Gier genauso wie in allen anderen Menschen. Sollte Gott mich deshalb nun vernichten, ausreißen, es mit mir zu Ende bringen? Niemals wird er das tun. Vielmehr ist er geduldig mit mir. Er hat seinen Sohn für mich gegeben. Er wird mich nicht vernichten, nur weil ich böse bin oder Böses tue! Zum Glück hat Gott andere Maßstäbe als die radikalen Jünger! Welche Geduld hat Gott mit jedem von uns! Er, der die Sünder nicht straft, sondern seinen Sohn für sie gibt, sollte er nicht Geduld mit uns haben? Das Unkraut wird auch in unserem eigenen Leben immer wieder aufkeimen. Noch lässt es sich nicht völlig ausrotten! Und es ist Ausdruck von Gottes Barmherzigkeit, dass wir, seine Kirche, seine Gemeinde trotz allem, was auch in ihr aufwächst, bleiben darf. Gott spricht das letzte Wort über unserem Leben! Er spricht das letzte Wort über unserer Kirche! Sein letztes Wort aber heißt Jesus Christus – und nicht Verdammung!

Ich denke dabei an Jesus, wie er mit Sündern umgegangen ist. Er hat sie nicht fertiggemacht. Er hat sie nicht verstoßen. Vielmehr haben sie ihre Chance bekommen. Wenn Gott mit uns fertig wäre – wir wären verloren! Nun aber hat er seinen Sohn für uns gegeben. Wir haben das gerade erst an Weihnachten gefeiert. Auf diesem Grund darfst du deinen Glauben bauen.

Und dann gibt es noch eine andere Begründung, warum wir das Unkraut nicht einfach eigenmächtig ausreißen sollen. Gott ist der Richter und nicht der Mensch! Was wäre eigentlich, wenn uns Menschen das letzte Urteil über andere Menschen gegeben wäre? Ich fürchte, das wären sehr kurzfristige, ungerechte und zuweilen auch launenhafte Urteile. Wir würden vermutlich in Vielem danebenliegen.

Nun aber hat Jesus am Kreuz das Gericht Gottes auf sich genommen. Wie können wir da noch Menschen richten? Unser Bibelwort ruft uns zur Demut, Selbsterkenntnis und Barmherzigkeit auf.

Gott wird diese Welt und auch uns richten. Aber das braucht uns mit Christus an der Seite nicht mehr schrecken. Ja, das Jüngste Gericht am Ende ist ein echter Trost für Christen und kein Schrecken! Denn dann, endlich, wird alles Böse sein gerechtes Urteil bekommen. Und zwar von dem, der bis in die Tiefe sieht, dem man nichts vormachen kann, der liebt und doch ganz der Wahrheit verpflichtet ist. Er wird die Bösen vernichten, die anderen soviel an Leid angetan haben. Die Hass gesät haben. Die Zerstörung verbreitet haben. Die anderen ihre Würde genommen haben. Die das Recht mit Füßen getreten haben. Sie werden ihr Urteil empfangen!

Und wir? Auch wir werden unser Urteil empfangen, wenn Jesus zum Gericht erscheinen wird. Manches in uns wird in Flammen aufgehen. Es wird sich zeigen, wo wir auf Nichtiges vertraut haben, wo wir unsere Eitelkeit gepflegt haben, wo wir uns einen Namen machen wollten. So Vieles wird keinen Bestand haben. – Das Gericht wird es offenbar machen. Und doch wird er die Seinen, d.h. alle, die zu ihm gehören und ihm vertrauen, sammeln und heimbringen. Es wird eine große Ernte sein! Und Ernte ist ein Fest. Erntedankfest! Und du darfst dabei sein!

Was nehmen wir am Ende dieses Jahres aus diesem Bibeltext mit: Lasst uns demütig bleiben und nicht über andere richten. Lass uns nicht den Splitter im Auge des Bruders und der Schwester sehen, sondern den Balken im eigenen Auge. Mir persönlich ist die biblische Redewendung sehr wichtig geworden: lasst uns wahrhaftig sein in der Liebe. Liebe und Wahrheit gehören zusammen. Wahrheit ohne Liebe ist brutal. Liebe ohne Wahrheit ist verlogen. Aber wahrhaftige Liebe ist ehrlich, trägt weiter, heilt Beziehungen. Sie redet nicht schön, aber sie will immer heilen und helfen. Wahrhaftige Liebe und Demut gehören zusammen. So will ich anderen Menschen begegnen, meine Kinder erziehen, meine Ehe führen, meinen Kollegen begegnen, in Gremien mich zu Wort melden. Lasst uns wahrhaftig sein in der Liebe!

Und nicht zuletzt: Lasst uns unser Leben in die Hände des barmherzigen Gottes legen. Auch das, was im vergangenen Jahr misslungen ist, wollen wir in seine Hände legen. Wo wir schuldig geworden sind oder selbst Unkraut gesät haben. Legen wir es an sein Kreuz. Dort finden wir Erbarmen. Und wagen wir neue Schritte. In Jesu Namen. Amen.