Predigt am 25.07.2021, Kreuzkirche Bayreuth: 1. Kor. 6, 9-14.18-20

Liebe Gemeinde,

es ist im Jahr 55 n. Chr. in Korinth, einer wohlhabenden Hafenstadt. Der Handel boomt. Am Hafen werden mächtig viele Waren umgeschlagen. Vieles wird weiterverladen auf Eselskarren und ins Land transportiert. Ein Hauch von Welt weht durch die Gegend. Korinth, damals vielleicht ein bisschen vergleichbar mit Hamburg. Eine große Stadt mit vielen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten. Verschiedene Welten und Kulturen stoßen aufeinander. Und mitten drin seit 5 Jahren eine kleine christliche Gemeinde. Nicht viele, vielleicht zwischen 100 und 150 Leute. Menschen, die vom christlichen Glauben gepackt wurden. Menschen, die erlebt haben, was es heißt, von Christus angenommen und geliebt zu sein. Menschen, die ganz bestimmt ihren neuen Weg mit bestem Wissen und Gewissen gehen wollten. Unter Paulus ist die Gemeinde damals entstanden. Inzwischen ist er längst weitergezogen und hält nur noch Briefkontakt. Und was er da aus dem Leben der Gemeinde zu lesen bekommt, ruft seinen Widerspruch hervor.

Die Gemeinde lebt nicht mehr nach Gottes Willen, ist seine harte Diagnose. Die Christen haben sich nicht radikal genug vom Lebenswandel ihrer Umgebung getrennt. Und der war damals alles andere als vorbildlich: Da wurde geklaut. Da wurde getrunken und über die Stränge geschlagen. Da hat man sich den Magen vollgeschlagen bis zum Abwinken. Und dann natürlich der Dauerbrenner bei uns Menschen: das Thema Sexualität. Käufliche Liebe gehörte zu Korinth wie St. Pauli zu Hamburg gehört. Menschen jedweden Alters verkehrten miteinander, auch gleichgeschlechtliche Liebe war an der Tagesordnung. Alles erlaubt, alles in Ordnung – so standen auch die Christen in Versuchung zu denken. Morgens der Besuch des Gottesdienstes und abends dem Sexkult sich hingegeben. Morgens das Abendmahl und abends sich den Magen so vollgeschlagen, dass man es nicht mehr Essen nennen konnte. Alles erlaubt, alles in Ordnung?

Paulus rammt damals wie heute ein riesengroßes Stoppschild in den Boden. Auch für uns. Und es ist die Frage an uns: Nehmen wir es ernst, was wir da gleich als Predigttext von Paulus hören? Oder gehen wir daran vorbei, weil wir es besser zu wissen glauben oder nicht mehr zeitgemäß?

Für viele lesen sich die Worte des Paulus, die er als Bote Gottes spricht, heute wahrscheinlich wie eine Zumutung.

Und so wollen wir jetzt jeder für sich in der Stille um die richtige Herzenshaltung für den heutigen Predigttext bitten. Dass wir uns hinterfragen lassen, wo es nötig ist. Und andererseits: Dass wir uns nicht besser als andere fühlen und denken, das könnte uns nicht passieren. Dass wir uns nicht von vornherein aufregen. Sondern dass wir jetzt Gottes Hilfe erfahren und bereit werden, wo es nötig ist, auch unser Leben zu hinterfragen.

-------

Herr, segne unser Reden und Hören und hilf, dass wir es recht verstehen. Amen.

Paulus schreibt an die Korinther:

(9) Habt ihr vergessen, dass für Menschen, die Unrecht tun, in Gottes Reich kein Platz sein wird? Darauf könnt ihr euch verlassen: keiner, der unzüchtig lebt, keiner dem irgendetwas wichtiger ist als Gott, kein Ehebrecher, kein Mensch, der sich von seinen Begierden treiben lässt und homosexuell verkehrt, wird einen Platz im Reich Gottes haben;

(10) auch kein Dieb, kein Ausbeuter, kein Trinker, kein Verleumder oder Räuber.
(11) und all das sind einige von euch gewesen. Aber jetzt sind eure Sünden abgewaschen. Durch Jesus Christus gehört ihr ganz zu Gott, und durch seinen Geist seid ihr freigesprochen.
(12) Es ist alles erlaubt, sagt ihr. Das mag stimmen, aber es ist nicht alles gut für euch. Diese Parole „Es ist alles erlaubt“ darf aber nicht dazu führen, dass ich mich von irgendetwas beherrschen lasse und meine Freiheit verliere.
(13) Wenn ihr schreibt: „Das Essen ist für den Bauch und der Bauch für das Essen“, dann ist das schon richtig. Und ebenso gewiss hat Gott beides – das Essen wie den Bauch- zur Vergänglichkeit bestimmt. Aber das bedeutet nicht, dass Gott uns den Leib gab, damit wir unsittlich leben! Vielmehr wurde auch unser Körper zum Dienst für den Herrn geschaffen. Deshalb ist es Gott nicht gleichgültig, wie wir damit umgehen.
(14) Denn Gott wird uns vom Tod zum ewigen Leben auferwecken, so wie er Christus durch seine Kraft auferweckt hat.
(19) Habt ihr etwa vergessen, dass Euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, den euch Gott gegeben hat? Ihr gehört also nicht mehr euch selbst.
(20) Gott hat einen hohen Preis gezahlt, um euch freizukaufen. Deshalb dient nun auch mit eurem Leib dem Ansehen Gottes in der Welt.

„Ihr gehört also nicht mehr euch selbst.“ Für mich einer der Spitzensätze des heutigen Predigttextes. Ein Satz der herausfordert und provoziert. Ich gehöre nicht mir selbst. Ich mit meinen Gaben und Talenten, mit meinen Fähigkeiten und Möglichkeiten, mit meinem Geist und mit meinem Körper gehöre nicht mir selbst, sondern -- Gott. Ich gehöre Gott mit Haut und Haaren, mit Rückenschmerzen und Zahnweh und auch mit meinen Schwächen, Macken und Eigenarten.

„Ihr gehört nicht mehr euch selbst.“ Wer ist denn eigentlich gemeint mit dem „Ihr“?

Ihr seid gemeint, die ihr euer Leben mit Gott führen wollt. Ihr seid gemeint, die ihr euch sehnt nach einer Zukunft Gottes, in der es keinen Krieg, keine Waffen, keinen Streit, keine Krankheit, keinen Tod mehr geben wird. Ihr seid gemeint, die ihr wisst, dass ihr vor Gott und Menschen nicht mit blütenweißer Weste dasteht. Ihr seid gemeint, die ihr dennoch darauf vertraut, dass Gott euer liebender Herr ist, der mit euch durchs Leben geht, und eurem Leben Sinn und Ziel gibt.

Wer sich jetzt bei diesen Beschreibungen nicht wiedergefunden hat, der braucht sich um den Rest nicht zu kümmern und kann einschlafen. Die Botschaft des Paulus heute richtet sich an die Insider, an die, die Christen sein wollen.

Wir gehören nicht mehr uns selbst und sind dadurch frei. Das ist die These des Paulus.

Wer hingegen sich selbst gehört, wer sein Leben nur im Horizont des eigenen Denkens und Fühlens führt, der ist nicht frei. Der ist gefangen in sich selbst. Der lebt so, wie es ihm gerade in den Sinn kommt. Der kümmert sich nur bedingt um den Mitmenschen, sondern ist nur auf sein Wohl bedacht. Das engt ein. Wer nur auf seinen Bauchnabel schaut oder noch tiefer, der hat keinen weiten Blick, der lebt sehr eng und damit auch ängstlich. Das ist der gleiche Wortstamm: Enge und Angst. Wer nur sich selbst gehört, dem geht es allein um sein Eigentum, um sein Profit, um sein Vergnügen. Wer nur sich selbst gehört, der achtet im sexuellen Bereich auf die eigenen Triebe und Lüste und darauf, wie sie möglichst schnell befriedigt werden können. Das boomende Geschäft der Prostitution auch in Deutschland ist eine Auswirkung eines solchen Lebensstils. Jeder siebte Mann nimmt im Durchschnitt solche Liebesdienste in Anspruch. Zählen wir doch das mal für unseren Stadtteil, unsere Straßen durch! Das Thema ist uns näher als wir denken!

Wer nur sich selbst gehört, der ist nicht frei. „Aber – so schreibt Paulus – aber, jetzt sind eure Sünden abgewaschen. Durch Jesus Christus gehört ihr ganz zu Gott, und durch seinen Geist seid ihr freigesprochen.“

Da ist sie also: die große Freiheit. Die Freiheit, nach der sich so viele sehnen und dabei immer mehr in die Unfreiheit rennen. Hier bei Christus finde ich Freiheit, nirgends sonst. Freiheit von mir selber. Freiheit davon, immer nur eingekurvt in mich selbst zu sein wie eine Larve im Kokon. Freiheit vom Zwang, immer nur auf mich bedacht zu sein. Freiheit vom Zwang, immer nur gut dastehen zu müssen. Freiheit vom Zwang, immer nur die eigene Lusterfüllung zu suchen. Wir sind Freigesprochene. Und wahre Kirche ist eine Gemeinschaft von solchen freigesprochenen Menschen. Wahre Kirche, das sind Menschen, die mit ihren alten Maßstäben gebrochen haben.

Sie sind deshalb noch lange keine Heiligen. Oft ist noch viel Unfreiheit an Ihnen zu sehen. Aber tief in ihnen weht der Heilige Geist der Freiheit. Sie sehnen sich nach so einem Leben in der Freiheit. Sie sind auf dem Weg dazu. Und das ist vielleicht der einzige Punkt, den Paulus nicht so deutlich herausgearbeitet hat: dass es mit bloßen Verboten nicht getan ist, sondern oft auch viel Geduld und seelsorgerliche Begleitung erfordert, bis diese Freiheit im Leben eines Menschen sich mehr und mehr verwirklicht.

Die Forderung von Paulus ist: dient uneingeschränkt Gott mit eurem Leib. Das ist das Ziel. Und unsere Aufgabe ist es, sich auf den Weg zu diesem Ziel zu machen.

Wie kann das konkret aussehen, besonders im Blick auf unseren Leib, den Paulus hier so betont?

Zum Beispiel, dass ich achtsam mit ihm umgehe. Dass ich nicht mutwillig meine Gesundheit ruiniere. Klar, es ist alles erlaubt. Paulus sagt es eindeutig. Auch als Christ ist es mir erlaubt z.B. zu rauchen, im Überfluss zu essen und zu trinken. Oder Extremsport zu treiben. Es ist ausdrücklich erlaubt--aber es dient mir nicht unbedingt zum Guten. Behandle ich dabei wirklich meinen Körper als Behausung des Heiligen Geistes, als Tempel Gottes? Oder stehen da vielleicht eigentlich Motive dahinter, die durchaus mal zu hinterfragen sind. Möchte ich z.B. vor anderen cool sein, etwas darstellen, besser sein als andere, mich selbst beweisen?

Und im Blick auf die Sexualität, von der Paulus hier so offen spricht, wie es kaum sonst in der Bibel geschieht? Wie kann man da Gott dienen? Ein heißes Eisen und es kostet mich Mut, darüber im Gottesdienst zu sprechen.

Unsere Sexualität ist eine gute Schöpfungsgabe Gottes. Gott ist ihr Erfinder. Und er hat mit ihr sein kostbarstes Schöpfungswerk verbunden. Die Zeugung des menschlichen Lebens. So eine hohe Wertschätzung erfährt die Sexualität bei Gott. Wer sie also verteufelt, wie es leider auch jahrhundertelang von den Kirchen geschehen ist, handelt ganz sicher nicht nach Gottes Willen, sondern wird schuldig. Und Gott hat die Sexualität außerdem geschaffen, damit wir Menschen in unserer Polarität von Mann und Frau einander Freude bereiten und unserer gegenseitigen Liebe zueinander Ausdruck verleihen. In dieser Formulierung wird schon deutlich: gottgewolltes Sexualleben zielt nie allein auf die eigene Lustbefriedigung, sondern immer auch auf die Bedürfnisse des anderen. Sexualität nach Gottes Willen ist kein egoistisches Erleben, sondern ein Gemeinschaftserlebnis mit einem Menschen, mit dem ich dauerhaft mein Leben teile, dem ich voll und ganz vertraue und dem ich mich so zeige und hingebe, wie sonst keinem. In einem solchen vertrauten Rahmen - und den sieht die Bibel nur in der Ehe zwischen Mann und Frau gewährleistet - kann Sexualität in aller Freiheit und Freude gelebt werden und entspricht dem Umgang mit unserem Leib wie Gott es will.

Heute aber werden uns unzählige andere Lebens- und Gestaltungsformen von Sexualität als normal dargestellt. Schnelle Lust und Liebe, das ist in. Überall begegnen uns Anspielungen auf die Sexualität, ob wir es wollen oder nicht. Da gibt es kaum eine Zeitschrift, wo sie nicht irgendwo zum Thema wird. Da suche ich etwas im Internet und plötzlich öffnen sich Werbefelder mit eindeutigem Inhalt. Da ist nichts mehr von gottgewollter Freiheit zu spüren. Wie sollen sich z.B. Jugendliche, selbst wenn sie es wollten, diesen beherrschenden Einflüssen noch irgendwie entziehen und ein unverkrampftes und sauberes Verhältnis zu ihrer eigenen, sich entwickelnden und ausdrücklich gottgewollten Sexualität entwickeln? Es ist heute schwerer als je zuvor, auf diesem Gebiet gottgewollt erwachsen zu werden und wir sollten unseren jungen Menschen mit viel Wertschätzung, Verständnis und Einfühlungsvermögen bei diesem Thema begegnen, statt mit Vorwürfen. Wir haben ihnen zu helfen, sie seelsorgerlich zu begleiten, falls sie das wollen und sie nicht zu tadeln.

Das gilt m.E. auch für den Umgang mit homosexuellen Menschen. Das biblische Zeugnis über ausgelebte Homosexualität in einer Partnerschaft ist durchgehend in beiden Testamenten ablehnend. Verurteilung homosexueller Menschen ist nicht dran, aber sorgsame Begleitung und seelsorgerliche Hilfe. Wer sind wir denn, dass wir uns über einen anderen stellen? Dass wir ja nicht glauben, wir seien besser! Der Neid, der Geiz, die Streitsucht, der falsche Stolz all das, was vielleicht in deinem und meinem Charakter wesenhaft ist, wiegt genauso schwer! Ich rede hier nicht der Beliebigkeit das Wort. Dazu ist das biblische Zeugnis viel zu eindeutig und klar. Aber wir sind es nicht, die zu richten haben. Wir haben einander zu helfen.

Paulus hat schon recht: Unsere Welt braucht Menschen, die die üblichen Lebensstile auch kritisch hinterfragen. Unsere Welt braucht Menschen, die wie Jesus das in der Schriftlesung heute gesagt hat, das Salz der Erde und das Licht der Welt sind und sich damit unterscheiden.

Aus eigener Kraft schaffen wir das nicht. Appelle bringen auch nichts. Wir können nur immer wieder darum bitten, dass in unserem Leben immer mehr Licht und Freiheit sichtbar und spürbar wird. Damit andere ins Nachdenken kommen und wir Orientierung bieten können und nicht immer mit dem Strom schwimmen. Wir sind doch bereits Erlöste. Der Preis für unserer Erlösung ist doch längst am Kreuz bezahlt. Deshalb sollen wir uns nicht mehr knechten lassen. Von nichts und niemanden. Deshalb kann Paulus eben auch in großer Freiheit sagen:

Mir ist alles erlaubt, aber mir dient nicht alles zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber es soll mich nichts gefangen nehmen. Es soll mich nichts abhängig machen und versklaven. Jesus will uns bewahren vor Ketten und Fesseln, die uns beherrschen und zerstören. Keine körperlichen und seelischen Bindungen sollen Macht über uns haben und sich zwischen Gott und uns stellen. Wir sind teuer erkauft! Mit einem hohen Preis befreit, durch das Blut des Herrn Jesus.

Niemand darf uns beherrschen oder zwingen. Denn durch Jesus Christus sind wir befreit! Und wir sollen mit ihm und durch ihn frei bleiben von den Zwängen der Welt. Jesus nimmt uns das, was uns zutiefst unfrei macht: unsere Schuld, und er schenkt uns das, was uns von uns selber löst und frei macht: seine unendliche Liebe. Und Liebe verändert. Das wissen wir aus zwischenmenschlichen Beziehungen und das ist genauso bei der Beziehung zwischen Gott und Mensch. Gottes Liebe verändert dich. Das Wissen, dass du von ihm unbedingt geliebt bist, macht dich neu, nicht deine eigenen Bemühungen!

Wie gut, dass wir alles auf die eine Karte Jesus setzen dürfen. Dass wir es ganz persönlich sagen können, wie wir es gleich in einem alten Lied gesungen hören: 

Seligstes Wissen: Jesus ist mein! Köstlichen Frieden bringt es mir ein.
Leben von oben, ewiges Heil, völlige Sühnung ward mir zuteil.
Lasst michs erzählen, Jesus zur Ehr, wo ist ein Heiland, größer als er?
Wer kann so segnen, wer so erfreun? Keiner als Jesus! Preis ihm allein! Amen.

Verfasser: Pfarrer Friedemann Wenzke, Dr. Martin Luther Str. 18, 95445 Bayreuth, Tel: 0921/41168,  E-Mail: friedemann.wenzke@elkb.de