Predigt am Sonntag Rogate 09.05.2021, Kreuzkirche Bayreuth: Dan. 9, 4-5.16-19
Liebe Gemeinde,
vielleicht kennen Sie schon diese Geschichte: während ein
Techniker vom Störungsdienst das Telefon repariert, unterhalten
sich im Arbeitszimmer des Pfarrers drei Geistliche über die
richtige Gebetshaltung. Der eine meint, im Knien ließe es sich am
besten beten. Der andere erklärt, dass er am besten im Stehen
betet und dazu die Hände flehend zu Gott erhebt. So werde die
Sehnsucht und Bedürftigkeit am deutlichsten ausgedrückt. Der
dritte ist anderer Meinung. Für ihn ist die richtige
Gebetshaltung, auf dem Boden ausgestreckt zu liegen. Da mischt sich der
Fernmeldetechniker ein und sagt: »Also ich habe am innigsten
gebetet, als ich einmal mit dem Kopf nach unten an einem Telefonmasten
hing!«
Wie beten Sie? Mit gefalteten Händen, mit gesenktem Kopf, die
Augen geschlossen, im Sitzen oder im Stehen? Oder stehend mit nach oben
ausgestreckten Händen? Oder im Knien? Wohl kaum auf dem Boden
liegend.
Es ist völlig egal. Weder von Jesus noch von den Aposteln kennen
wir eine verbindliche Anweisung, in welcher Haltung wir beten sollen.
Deshalb darf niemand ein Gesetz aufrichten für eine bestimmte
Gebetshaltung. Wir können so beten, wie es uns guttut. Das
heißt aber auch: wir brauchen niemanden schief ansehen, der in
einer anderen Haltung betet als wir. Lassen wir einander Freiheit in
diesen äußeren Formen unseres Glaubens und des Gebets.
Viel wichtiger ist, welcher Segen, welche Hilfe und welches Versprechen
auf dem Gebet liegt. Heute ist ja der Sonntag Rogate, also der Sonntag,
wo es besonders um das Gebet geht. Und in unserem Predigttext –
es ist wieder einer der neuen Predigttexte, die vor zwei Jahren in die
Sammlung der Texte aufgenommen wurde - geht es um Daniel. Was wissen
Sie von Daniel? Vermutlich vor allem eine Geschichte: Daniel in der
Löwengrube. Oder vielleicht auch noch: Daniel im Feuerofen. Und
der große Konflikt, den Daniel mit dem König Nebukadnezar
führt, weil er Gott nicht als den wahren Gott anerkennt. Heute
gehen wir mal in die Gebetsschule des Daniel. Hören wir, wie er
betet und was sein Gebetsanliegen ist: Dan. 9,4-5.16-19:
Ich betete aber zu dem HERRN, meinem Gott, und bekannte und sprach:
Ach, Herr, du großer und schrecklicher Gott, der du Bund und
Gnade bewahrst denen, die dich lieben und deine Gebote halten!
5 Wir haben gesündigt, Unrecht getan, sind gottlos gewesen und
abtrünnig geworden; wir sind von deinen Geboten und Rechten
abgewichen.
16 Ach, Herr, um aller deiner Gerechtigkeit willen wende ab deinen
Zorn und Grimm von deiner Stadt Jerusalem und deinem heiligen Berg.
Denn wegen unserer Sünden und wegen der Missetaten unserer
Väter trägt Jerusalem und dein Volk Schmach bei allen, die um
uns her wohnen.
17 Und nun, unser Gott, höre das Gebet deines Knechtes und sein
Flehen. Lass leuchten dein Angesicht über dein zerstörtes
Heiligtum um deinetwillen, Herr!
18 Neige deine Ohren, mein Gott, und höre, tu deine Augen auf
und sieh an unsere Trümmer und die Stadt, die nach deinem Namen
genannt ist. Denn wir liegen vor dir mit unserm Gebet und vertrauen
nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf deine große
Barmherzigkeit.
19 Ach, Herr, höre! Ach, Herr, sei gnädig! Ach, Herr, merk
auf und handle! Säume nicht - um deinetwillen, mein Gott! Denn
deine Stadt und dein Volk ist nach deinem Namen genannt.
»Wir liegen vor dir mit unserem Gebet.« Das ist durchaus
wörtlich zu nehmen. Daniel spricht dieses Gebet also im Liegen.
Und dies, obwohl er nicht mehr der Jüngste ist. Er ist zu diesem
Zeitpunkt wohl um die 80 Jahre alt. Er unterstreicht damit seine
demütige Haltung vor Gott und auch den Ernst seines Anliegens. Er
pflegte aber auch eine andere Gebetshaltung. In Kapitel 6 ist zu lesen:
»Er hatte an seinem Obergemach offene Fenster nach Jerusalem, und
er fiel dreimal am Tag auf seine Knie, betete, lobte und dankte seinem
Gott, wie er es auch vorher zu tun pflegte.«
Daniel hat also einen festen Gebetsrhythmus. Das möchte ich als
erste Anregung für mein eigenes Gebet mitnehmen. Daniel betet
dreimal am Tag. Haben Sie auch einen festen Rhythmus für Ihr
Beten? Das ist kein Muss, aber eine geistliche Hilfe. Wir dürfen
mitten in unserem Alltag, wo auch immer wir sitzen, stehen oder gehen,
Gott anrufen. Ich habe ja das Vorrecht neben einer Kirche zu wohnen,
die um 7.00 Uhr, um 12.00 Uhr und um 18.00 Uhr läutet. Das
Läuten soll uns an solche Gebetszeiten erinnern. Dass wir unseren
Alltag und unsere Arbeit bewusst unterbrechen und vor Gott innehalten.
Es ist eine Einladung, kein ehernes Gesetz. Aber es kann helfen zu
einem geistlich ausgerichteten Leben. So wie uns aktuelle
Stressforscher raten, nach einer gewissen Zeit am Büroarbeitsplatz
aufzustehen und ein paar Schritte zu gehen oder Dehnübungen zu
machen, so können wir uns doch auch angewöhnen, hier ein
kurzes Gebet zu sprechen. Einfach leise für uns. Ganz
natürlich und frei.
Als nächstes möchte ich hinschauen, was Daniel in seinem
Gebet bewegt. Warum wirft er sich vor Gott auf den Boden? Mit Schmerzen
denkt er an die Schuld seines Volkes. Das treibt ihn um. Wie ein
Trommelfeuer hört sich das an: »Wir haben gesündigt, wir haben Unrecht getan,
wir sind gottlos gewesen, wir sind abtrünnig geworden; wir
sind von deinen Geboten gewichen.« Das sind fünf kurze
Sätze. Sie lassen keinen Raum für Entschuldigungen, für
Ausreden, für Schlupflöcher, keinen Raum für Verweise
auf etwas, das zugunsten des Volkes angerechnet werden müsste. Sie
enthalten auch keine Anklagen gegen Gott. Er bekennt die Schuld seines
Volkes ohne Wenn und Aber.
Daniel ist ja ein alter Mann. Aufgrund seines hohen Alters kann er auf
zahlreiche politische Entwicklungen seines Landes und seines Volkes
zurückschauen. Im Alter von 15 bis 20 Jahren musste er miterleben,
wie der Tempel in Jerusalem und die Stadt Jerusalem von den Babyloniern
eingenommen und zerstört wurden. Er wurde wie viele andere aus
seiner Heimat in Israel nach Babylonien verschleppt. Dort erlebte er
als Ausländer einen grandiosen politischen Aufstieg. Einige
Jahrzehnte diente er im babylonischen Königreich als hoch
geachteter Beamter. Er könnte sich also getrost zurücklehnen
und seinen Lebensabend genießen. Er könnte sagen:
Hauptsache, mir geht es gut. Was gehen mich die anderen an?
Aber nein! Er leidet
mit seinem Volk. Ihn schmerzt auch, dass der Tempel in Jerusalem und
die Stadt Jerusalem nach fast 70 Jahren immer noch in Trümmern
liegen: »Sieh an unsere Trümmer und die Stadt.« Auch das geistliche Leben ist verkümmert. Daniel ist klar:
Wir haben diese Strafe verdient! Der Zorn Gottes ist berechtigt. Das steht für ihn außer Frage.
Aber nun fragt er sich, wann Gott diese
Zeit der Gefangenschaft wendet, wann sein Volk endlich wieder
zurück darf in seine Heimat. Hinzu kommt, dass er in den Schriften
des Propheten Jeremia eine Zusage Gottes entdeckt: »70 Jahre soll
Jerusalem wüst liegen« (3). Er stellt fest, dass
diese 70 Jahre sich dem Ende zuneigen. Ihm ist bewusst, dass nur durch
Buße ein Neuanfang möglich ist. Nur durch Umkehr kann Neues
beginnen. Und so tut er Buße, stellvertretend für das ganze
Volk.
Und das, obwohl er seinen Glauben
vorbildlich gelebt hat. Er betete regelmäßig. Er bekannte
sich zu seinem Gott auch unter Lebensgefahr. Er wurde zu hungrigen
Löwen in die Grube geworfen. Gott rettete ihn vor dem sicheren Tod.
Getrost, viel getroster ich, hätte
er beten können: Sie, die anderen, haben gesündigt.
Stattdessen staune ich, wie er sich mit unter die Schuld des Volkes
stellt. Wie er sich mit einschließt und zugleich stellvertretend
für das ganze Volk betet, auch für die, die niemals auf die
Idee kämen, zu beten. Er nimmt sich nicht heraus, weil er sich als
besonders frommen Mann einschätzt. Er hält sich selbst nicht
für besser. Er hegt keine Gerichtsphantasien über sein Volk!
Nein er gibt sich mit schuldig. Wie demütig! Wie mitleidend!
Ich möchte von Daniel und seinem
weiten Horizont im Gebet lernen. Das ist das Zweite, was ich von
Daniels Gebetsschule lernen möchte. Als Christen stehen wir mitten
in dieser Welt, auch wenn wir wissen, dass diese Welt einmal enden wird
und Gottes Reich endgültig kommt. Und dennoch: wir sind Teil
dieser Welt und haben in ihr Verantwortung. Auch in geistlicher
Hinsicht. Auch im Gebet. Es kann nicht sein, dass wir nur für die
Unseren beten und nur für die Kirche. Wir haben für die Welt
und Gesellschaft im Gebet einzutreten und sei sie noch so gottlos.
Liebe Gemeinde, wir haben hier eine gewaltige Aufgabe! Das ist unser
Auftrag als Christen. Und das eben nicht in einer Haltung des Richters
und Besserwissers, sondern in Demut und Barmherzigkeit.
Das Dritte, was ich aus Daniels
Gebetsschule lernen möchte, zeigt sich am Beginn seines Gebetes.
Mir geht es dabei um meine innere Haltung zu Gott. Haben Sie es
gemerkt: Daniel beginnt sein Gebet nicht mit den Worten »Lieber
Gott«, sondern mit der Anrede »Ach, Herr, du großer
und schrecklicher Gott«. Ich vermute, kaum jemand unter uns hat
Gott wohl schon mal so angeredet. Eine verständlichere
Übersetzung anstelle von schrecklich lautet: ehrfurchtgebietend. Das
heißt, Gott ist zu fürchten, er ist ernst zu nehmen. Luther
beginnt seine Erläuterungen zu den zehn Geboten immer mit der
Formulierung: wir sollen Gott fürchten und lieben. Beides
gehört zusammen. Zur Gottesfurcht gehört, dass ich Achtung
vor ihm habe, ihn als Gott anerkenne und achte. Und zugleich immer
wieder mit seiner Liebe und seinem Erbarmen rechne. Daniel hilft mir,
Gott wirklich im Gebet ernst zu nehmen und zu achten.
Im
gleichen Atemzug mit dieser Anrede erinnert Daniel Gott: »Der du
Bund und Gnade bewahrst denen, die dich lieben.« Gott steht also
treu zu seinem Bund. Er steht zu seinem Bund, auch wenn er die
Israeliten immer wieder wegen ihres Ungehorsams strafen musste. Und zu
Gottes Bund gehört untrennbar die Gnade. Ohne sie wäre die
Geschichte Israels undenkbar. Zu Gott ehrfurchtsvoll und doch
vertrauensvoll zu beten, das ist das Dritte, das ich aus der
Gebetsschule von Daniel mitnehmen möchte.
Und wie mache ich das ganz konkret: Auch hier möchte ich von Daniel lernen. Daniel appelliert bei Gott an seine Ehre.
„Tu deine Ohren auf, säume nicht um deines Namens willen“ heißt es in unserem Text.
Ganz ähnlich wie es im 23. Psalm heißt als Bekenntnis: „Er führtet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.“
Gott und seinen Namen dürfen wir bei seiner Ehre nehmen und damit unser Bitten verstärken.
Ein weiteres: Daniel appelliert bei Gott an seine Stärke: Er
erinnert Gott an die Befreiung des Volkes aus der ägyptischen
Gefangenschaft. »Mit starker Hand« führte er sie in
die Freiheit und zurück ins verheißene Land. Daniel traut
Gott eine erneute solche große Tat zu. Wir Beter heute sollen
ebenso Gott Großes zutrauen. Lasst uns um Großes bitten,
denn wir haben einen großen Gott!
Und schließlich betet Daniel
dringend um Gottes Eingreifen: Am Ende seines Gebetes klingt wieder ein
fünffaches Trommelfeuer auf: Höre – sei gnädig
– merk auf – handle – säume nicht. Je dreimal im
ganzen Gebet fordert Daniel Gott auf, zu hören und zu sehen. Und
er selbst liegt Gott in den Ohren. Ganz ähnlich wie der bittende
Freund in der Schriftlesung. Wir dürfen Gott in den Ohren liegen.
Wir haben einen Gott, der uns sieht und uns hört. Das tut er auch
längst schon, bevor wir beten, aber erst recht, wenn wir beten.
Wir beten nicht gegen eine undurchdringliche Wand. Wir beten zum
himmlischen Vater, der uns sieht und uns hört und uns hineinnimmt
in seine Barmherzigkeit.
Also, was nehmen wir mit von heute? Doch
eine ganz große Ermutigung zum Gebet! Wir haben gehört: es
ist gut, wenn wir einigermaßen feste Zeiten im Tagesablauf zum
Gebet haben. Wir haben gehört: wir haben einen weiten Horizont in
unserem Beten: wir stehen in Fürbitte ein für diese Welt. Das
ist unser Auftrag als Christen und als Kirche. Wir haben gehört:
wir sind eingeladen, ehrfurchtsvoll und doch zugleich vertrauensvoll zu
beten. Wir berufen uns auf Gottes Ehre, wir erwarten Großes von
ihm und wir dürfen Gott in den Ohren liegen.
Ich möchte mit zwei Lutherzitaten bzw. Gebeten schließen:
Christen, die beten, sind wie Säulen, die das Dach der Welt tragen!
Ein gutes Gebet soll nicht lang sein, auch nicht lange hingezogen werden,
sondern es soll oft und herzlich sein.
Eines Christen Handwerk ist beten !
Heute habe ich viel zu tun, darum muss ich viel beten.
Wenn ich auch nur einen einzigen Tag das Gebet vernachlässige, verliere ich viel vom Feuer des Glaubens.
Und ein Gebet von Martin Luther:
Siehe, Herr, ich bin ein leeres Gefäß, das bedarf sehr, dass man es fülle. Mein Herr, fülle es !
Ich bin schwach im Glauben, stärke mich.
Ich bin kalt in der Liebe, wärme
mich und mache mich heiß, dass Deine Liebe herausfließe auf
meinen Nächsten.
Ich habe keinen festen, starken
Glauben und zweifle zuzeiten und kann dir nicht völlig vertrauen.
Ach Herr, hilf mir, mehre mir den Glauben und das Vertrauen. Alles, was
ich habe, ist in Dir beschlossen.
Ich bin arm, Du bist reich und bist gekommen, dich der Armen zu erbarmen.
Ich bin ein Sünder, Du bist
gerecht. Hier bei mir ist die Krankheit der Sünde, in dir aber ist
die Fülle der Gerechtigkeit. Darum bleibe ich bei Dir, Dir muss
ich nicht geben; von Dir kann ich nehmen.
Herr Jesus Christus, ich habe einen so
großen Schatz empfangen, der bleibt da bei mir liegen und ruhen,
das klage ich Dir. Hast Du mir den Schatz gegeben und geschenkt, so gib
auch, dass er Frucht in mir bringe, mein Wesen ändere und sich
auswirke gegenüber meinen Nächsten.
Herr, ich bin ein fauler Esel, darum komme ich, dass Du mir hilfst und mein Herz entzündest.
Amen.
Verfasser: Pfarrer Friedemann Wenzke, Dr. Martin Luther Str. 18, 95445 Bayreuth, Tel: 0921/41168;
E-Mail: friedemann.wenzke@elkb.de