Predigt am 2. Weihnachtsfeiertag 2020, Text: Jes. 52,7-10

Liebe Gemeinde,

wenn wir heute auf die Ursprungssituation unseres Predigttextes aus dem Jesajabuch schauen, so ist diese alles andere als weihnachtlich. Am Ende der Welt, in einer gottverlassenen Gegend, eine verlorene Vergangenheit und keinen Mut für die Zukunft – so lebten die verschleppten Juden. Sie waren den politischen Mächten ausgeliefert. Die Hoffnung auf eine Wende war ihnen längst abhanden gekommen.
Hier am Ende der Welt, im babylonischen Exil, in dieser gottverlassenen Gegend ist Gott ihnen fremd geworden. Der Glaube an Gott verblasste. Gab es ihn überhaupt noch, den Gott Israels, oder musste man sich damit abfinden, als Spielball zwischen den Großmächten vollends aufgerieben zu werden?

Dabei war die äußere Gottverlassenheit Israels letztlich nur die sichtbare Konsequenz einer inneren Entwicklung. Schon lange hatten sie mit Gottes Gebot gespielt. Sie wollten wissen, wie ein Leben ohne Gott aussieht und ob es nicht ein größeres Glück in der Freiheit von Gott geben könnte. Israel gehörte zu Gott, aber sie wollten nicht bei ihm bleiben; und nun haben sie sich so stark von Gott entfernt und können ihn doch nicht vergessen. Das ist wie die Hölle. So verzehren sie sich fern der Heimat im Heimweh nach dem Gott, von dem sie sich so entfernt hatten.

Doch da erreicht sie eine Botschaft, die einen völlig neuen Zungenschlag hatte, die Nachricht vom Ende der Gott-losigkeit:

Ich lese den Predigttext für Weihnachten aus Jes. 52,7-10:

Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße des Freudenboten, der da Frieden verkündigt, Gutes predigt, Heil verkündigt, der da sagt zu Zion: Dein Gott ist König!
8 Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und jubeln miteinander; denn sie werden's mit ihren Augen sehen, wenn der HERR nach Zion zurückkehrt.
9 Seid fröhlich und jubelt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst.
10 Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.

Was für ein Freudentext mitten hinein in trostlose Situationen. Worte, die verzagte Menschen aufrichten können. Auch uns! Schauen wir nochmal kurz auf die Situation damals: Gott findet sich nicht mit der Gottlosigkeit seines Volkes ab. Das Elend seiner Erwählten lässt ihn nicht gleichgültig. Er rollt den Fall Israel neu auf. Noch ist die Macht Babylons ungebrochen, aber es kündigt sich schon der Niedergang an. Im Osten rumort es. Der junge Perserkönig Kyros setzt zu einem beispiellosen Siegeszug an, der die Babylonier besiegen wird. Das macht politisch schon mal Hoffnung. Aber der Prophet erkennt noch eine andere, ganz neue Wirklichkeit, die da heraufzieht. Noch ist sie den Blicken der Weltöffentlichkeit verborgen. Der Prophet steht wie ein Späher auf der Burgzinne und schaut hinaus in Gottes Zukunft: Nicht in Babylon liegt die Macht, auch nicht beim aufsteigenden Kyros, sondern allein in Gottes Hand.

Von seiner Höhe aus sieht der Prophet den Siegesboten, der die frohe Nachricht von der Rettung bekannt macht: »Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König!« (Vers 7)

Also da wird eines deutlich: – das Heil, der Friede kommt nicht aus Menschenhänden. Alle politische Diplomatie, alles soziale Engagement, alle moralische Erneuerung so wichtig sie auch sind, reichen nicht aus für den wahren Frieden. Die Rettung, die Freudenbotschaft lautet stattdessen: Gott kehrt nach Zion zurück. Er wendet sich elenden, verlassenen und verlorenen Menschen aufs Neue zu. Und wenn Gott zurückkommt, dann erst kehren Friede, Gutes und Heil ein.

Noch sind in der Heimat, im fernen Jerusalem, die zurückgelassenen Bewohner in ihrem Kummer stumm und teilnahmslos. Aber die Trümmer der Gottesstadt beginnen zu schreien: »Wir sind frei, wir sind erlöst!« Gottes Erlösung zum Frieden, zum Guten, zum Heil steigt über den Steinhügeln auf. Aber – und das finde ich wichtig - die Trümmer werden, wenn Gott kommt und seine Herrschaft anbricht, nicht einfach beiseite geräumt und zum Schuttplatz gebracht. Das Zerbrochene wird vielmehr in den Jubel einbezogen: »Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der Herr hat sein Volk erlöst« (Vers 9).

Wenn die Zerbrochenen und Zermürbten mühsam aus den Ruinen ihrer Häuser heraus kommen und die Befreiung noch nicht fassen können, dann werden ihnen vorab die Trümmersteine das Jubilieren vormachen.
Das ist wichtig für uns. Wir meinen, dass sich Trümmer und Freude keinesfalls reimen, dass das, was in unserem Leben quer liegt und wie ein schwerer Felsbrocken auf uns lastet, niemals Anlass zum Jubel werden kann. In einer Umfrage haben weit über die Hälfte der Deutschen gesagt, dass sie sich wegen Corona nicht auf Weihnachten freuen. Ja, so denken wir oft: Erst müssen die Schwierigkeiten ausgeräumt sein und dann kann Gott anfangen mit seinem Erlösungsplan, dann erst kann seine Rettungsaktion greifen und sein Segen fließen.

Aber das ist ein gefährlicher Irrtum. Gott hat mit den Trümmersteinen unseres Lebens, den kantigen Brocken und unbehauenen Quadern noch Großes vor. Er verherrlicht sich eben auch an und mit und durch die Trümmer, die uns den Weg versperren und uns am Weiterkommen hindern. Mancher mag auch in diesen Weihnachtstagen da sitzen, erschöpft, ausgelaugt und mit nichts anderem in seinen Gedanken beschäftigt sein als mit den Trümmern und Lasten seines Lebens oder des zurückliegenden Jahres. Und ich vermute, da hat jeder von uns seinen Trümmerberg. Vielleicht unterschiedlich groß. Vielleicht mit Trümmern unterschiedlicher Größe. Aber sie sind da, die Trümmer. Und die Gefahr besteht, dass sie uns den Blick auf die Weihnachtsfreude verstellen.

»Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der Herr hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst.« Aus Trümmern baut Gott das neue Jerusalem. Aus Sündern sammelt er das neue Gottesvolk. Aus Bekümmerten und Traurigen bereitet er den himmlischen Chor. Jede Träne ist ihm bekannt, kein Seufzen wird von ihm überhört, kein stummes Klagen bleibt unbeachtet. Er verwandelt traurige Töne in freudige Weihnachtsmusik. Er kümmert sich um unser Ruinenfeld. Wir überlassen unsere Bruchstücke seiner zurechtbringenden Hand und dann warten und staunen wir, wie er daraus Jubel macht. Nicht immer sofort, teilweise auch nicht mehr in diesem Leben, aber doch immer wieder häufig auch hier und jetzt schon. Wenn Gott damals diese ersten Predigthörer in ihren Notunterkünften inmitten der Ruinen zum Lobpreis führte, sollte ihm das bei uns heute unmöglich sein?

Am Stadtrand von Stuttgart gibt es einen großen Berg, der von den Trümmern des 2. Weltkrieges aufgeschüttet wurde und bis heute als Ausflugsziel begehbar ist. Oben steht ein Kreuz und es ist ein beliebter Ort für Gottesdienste im Grünen. Auf den Trümmern der Stadt wird heute Gottes Wort verkündigt, ein starkes Bild. Und kurz vor unserem Umzug haben wir noch mal einen Ausflug dorthin gemacht. Und was durfte ich erleben: unsere Kinder kletterten fröhlich auf den Trümmern des 2. Weltkrieges herum und waren ganz unbeschwert. Gott hat wieder Zukunft und Leben geschenkt, auch wenn die Trümmer immer noch da sind und die Kriegswunden bis heute in der Stadt und was noch viel wichtiger ist in den Seelen vieler älterer Menschen eingebrannt sind. Gott räumt nicht immer die Trümmer aus unserem Leben weg. Aber er kann auf den Trümmern Neues entstehen lassen. Es macht aus seelsorgerlicher Sicht keinen Sinn, die schweren Erfahrungen unseres Lebens auszublenden. Menschen ist dann wahrhaft geistlich geholfen, wenn es im Laufe der Zeit gelingt, die schweren Lebenserfahrungen in unseren Glauben an Gott zu integrieren, auch wenn sie scheinbar im Widerspruch stehen. Dazu braucht es oft viel Zeit und seelsorgerliche Begleitung. Aber wie heißt es im Psalm 73: Dennoch – das heißt doch allen Trümmern meines Lebens zum Trotz – bleibe ich stets an Dir, denn Du hältst mich an deiner rechten Hand. Du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an.

Das hat zum Beispiel auch Paul Gerhardt erlebt. Er ist derjenige, der das Lied: „Ich steh an deiner Krippen hier“ gedichtet hat.

Der Liederdichter musste es in den Jahren des Dreißigjährigen Krieges immer wieder erfahren, was es heißt, dass eine ganze Welt in Trümmern liegt. In dieser Situation geht Paul Gerhardt ganz nah an die Krippe heran und sieht Jesus in seinem elenden Stall. Ausgeliefert ist das Kind an die Kälte der Nacht und die Einsamkeit der Welt, in der Gasthöfe besetzt sind von Menschen, die sich das eben leisten können. Jesus ist denen nahe, die ganz draußen sind. Er ist deshalb so einfach und ohne Glanz auf die Welt gekommen, damit er uns allen nah sein kann. Gerade denen, deren Welt in Trümmern liegt. »Ich steh an deiner Krippen hier« – so nah dürfen wir an Weihnachten zu Jesus Christus kommen und ihm vertrauen. Wir feiern die Geburt des Kindes im Stall – das aber nicht das Kind blieb, sondern für uns alle zum Erlöser wurde. Seine Botschaft wird zur Freudenbotschaft, die die Freudenboten über alle Berge tragen sollten. »Christ, der Retter ist da« – das ist kein frommer Trost aus alten Weihnachtsliedern, sondern von Gott geschenkte Wirklichkeit. Das ist die Wirklichkeit, die vor 2.000 Jahren geschehen ist – und doch ist dort noch viel mehr geschehen. Denn die Krippe war der Anfang des Lebens Jesu – und dieses Leben geht bis zum Kreuz, an dem er für uns gestorben ist. Aber auch das war nicht das Ende, sondern er hat durch sein Sterben den Weg für uns Menschen zu Gott freigemacht. Wir dürfen zu ihm zurückkehren.

Und damit ist die Geschichte seiner Offenbarung noch lange nicht am Ende. Gott zeigt seine wahre Stärke im toten Jesus. Er enthüllt seinen heiligen Arm und hilft, wo alle menschliche Hilfe zu Ende ist, wo alle Großkönige sich bestenfalls noch einbalsamieren lassen können. Seit der Auferstehung mit den ersten Strahlen der Ostersonne ist der Kampf entschieden. Der Sieg steht fest, unverrückbar, für alle Zeit und Ewigkeit.

Und seither eilen die Füße unzähliger Freudenboten von Haus zu Haus, von Mensch zu Mensch um die gute Nachricht, das Evangelium von Gottes Rettung in seinem Sohn weiter zu sagen: »Der Herr hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unseres Gottes« Was von Jesaja angekündigt war, was mit Jesus in Kraft getreten ist, das soll auch uns in Bewegung bringen. Wir können das Ungeahnte bekanntmachen, dass Jesus zum letzten Herrn der Welt eingesetzt ist und dass er sich als der erweisen wird, dem sich einmal alle Knie beugen werden.

Die Menschen werden immer mehr, die von Jesus rein gar nichts wissen. Es gibt so viele, die das wahre Weihnachten noch nicht entdeckt haben. Wir haben über sie nicht zu richten. Für sie sollen wir Freudenboten sein! Das ist unser Auftrag. Von jedem von uns an dem Platz, wo er hingestellt ist. Und auch von uns als Kirchengemeinde. Wir sind keine Miesepeter und Stimmungskiller-gemeinde, sondern eine Freudenboten-gemeinde. Und wo wir es noch nicht sind, da müssen wir es werden. Wie sollte uns das denn peinlich sein, Zeugnis über den wahren Herrn dieser Welt weiterzusagen!

Natürlich wäre es uns lieber, es wäre offenkundig vor aller Augen, dass Gott die Welt regiert. Natürlich wäre es uns lieber, wenn man sichtbar und spürbar mehr davon merken würde, dass Jesus alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist. Aber wir sollen ja ›Freudenboten‹ sein. Ankündiger! Leute, die erst noch Kommendes bekanntmachen, das aber schon begonnen hat im Kommen Jesu.

Die Zeitenwende liegt hinter uns. Wir schreiben die Jahre inzwischen nach Christus, bald 2021. Gott hat sich schon als der Herr erwiesen, der Weltgeschichte macht. Erst recht hat sich Gott als Herr der Welt erwiesen, als er Jesus zum Erlöser aus den Menschheitsnöten von Sünde, Tod und Teufel machte. Darum können wir als Freudenboten Gottes nüchtern und zugleich erwartungsvoll bekanntmachen:

»Noch verbirgt die Dunkelheit das Licht und noch sehen wir die Sonne nicht. Doch schon zieht der neue Tag herauf und das Licht des Morgens leuchtet auf.“

Auf dieses kommende Licht können die schönsten Weihnachtskerzen nur ganz schwache Hinweise sein. Das wahre große Licht für die Völker kommt!

Das große Erwachen kommt! Das große Aufatmen kommt: Gott ist König! Jesus erlöst! Aller Welt Enden sehen das Heil Gottes! Freut euch! Amen.