Predigt: 2. Tim. 1, 7-10 - 27.09.2020

Liebe Gemeinde, 

Wer von Ihnen kennt einen Timo? Melden Sie sich doch mal! So viele! Aber wahrscheinlich kennen sie den Timo nicht persönlich, von dem ich Ihnen heute erzählen möchte. Timo war sehr jung. Er hatte keine fromme Familie. Sein Vater war ein waschechter Vollheide. Die Großmutter war allerdings sehr fromm. Aber nicht jeder nimmt sich automatisch seine Großmutter als Vorbild.

Trotz seiner heidnischen Umgebung wurde Timo Christ. So kann das gehen. Timo hatte einen väterlichen Freund, einen, der ihm von Jesus erzählte und sein Christsein vorlebte. Das reicht aus, um Christ zu werden. Das reicht auch bei dir. Wenn du nur einen hast, der dir von Jesus erzählt und dem du das abnimmst, was er dir sagt.

Wie ging’s nun mit Timo weiter? Sein väterlicher Freund übertrug ihm eine verantwortungsvolle Aufgabe. Timo übernahm sie, wenn auch mit Zittern und mit Zagen. Deshalb kämpfte er auch mit Unsicherheit und Verzagtheit, wenn Schwierigkeiten auf ihn zukamen. Dann hätte er am liebsten alles hingeworfen. Er fühlte sich überfordert. Doch Gott gab ihm immer wieder Kraft. Und auch sein väterlicher Freund sprach ihm immer neu Mut zu.

Wen meine ich mit Timo? Die Rede ist von Timotheus, dem jungen Gemeindeleiter der christlichen Gemeinde in Ephesus. Den Auftrag dazu erteilte ihm sein väterlicher Freund Paulus. Schwierigkeiten in dieser Großstadtgemeinde gab es genug. Der junge Timotheus tat sich nicht leicht mit seinem Auftrag und mit sich selbst, seiner sensiblen, schüchternen Natur. Doch dieser inneren Not des Timotheus verdanken wir zwei Briefe, die im Neuen Testament stehen, die zwei Paulusbriefe an Timotheus. In ihnen macht der große Apostel seinem jungen Mitarbeiter viel Mut, Mut, den wir auch heute genauso brauchen können.

Unser Schriftwort für die Predigt ist heute ein Abschnitt aus dem 2. Brief des Paulus an Timotheus im 1. Kapitel:

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit. Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserem Herrn noch meiner, der ich sein Gefangener bin, sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes.

Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unseren Werken, sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade, die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt. Jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus, der dem Tod die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat durch das Evangelium.

Hoffnungsvolle Sätze, Mut machende Worte! Was der Apostel hier an seinen jungen Mitarbeiter Timotheus schreibt, sind nicht Urlaubsgrüße oder die Schlusssätze einer Erfolgsstory, sondern Zeilen eines Häftlings, geschrieben in einem dunklen unbequemen antiken römischen Gefängnis. Paulus weiß nicht, wie es mit ihm weitergehen wird, ob er jemals wieder in Freiheit kommt und wie sein Prozess vor dem Kaiser Nero ausgehen wird. Und doch ist er es, der Gefangene, der dem Freund in Freiheit wieder Hoffnung schenkt.

Timotheus war niedergeschlagen und ängstlich. Er spürt zunehmend die Feindschaft, die echten Christen entgegenschlägt, in einer Zeit, in der Sieger bejubelt, Helden verehrt werden und ein gekreuzigter Gott verachtet wird. Ja, Timotheus glaubt an Jesus als seinen Retter, aber manchmal hat er einfach nicht den Mut, sich öffentlich dazu zu bekennen. Er denkt: Die Leute lachen mich ja doch nur aus. Sie verstehen gar nicht worum es geht. Sie halten mich für etwas beschränkt und rückständig, wenn ich Gottes Gebote achte und von Sünde rede. Sie denken, ich bin ein verbohrter Fundamentalist, wenn ich die Heilige Schrift ernst nehme.

Timotheus weiß nicht, wie es weitergehen soll, mit der Gemeinde, mit dem Evangelium, mit ihm selbst. Und wenn er daran denkt, dass sie seinen Freund und geistlichen Vater Paulus jetzt schon jahrelang ohne Prozess im Gefängnis in Rom festhalten, dann packt ihn die Angst. Wann werden sie kommen und ihn holen? Wenn die Verfolgung noch mehr zunimmt, wer wird dann bestehen? Wird er die Kraft haben standhaft zu bleiben, wenn sie ihn vor den Kaiseraltar stellen? Wird er den Widerständen in der eigenen Gemeinde standhalten? Oder werden die noch mehr Einfluss gewinnen, die sich anpassen an die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse? Sorgen und Ängste quälen den jungen Christen und er weiß nicht, wie er dem Freund im Gefängnis helfen oder ihn wenigstens trösten kann. Da kommt dieser Brief von Paulus und tröstet ihn.

Könnten wir nicht auch so einen Trostbrief gebrauchen, jetzt wo die Sommerferien vorbei sind und der Alltag uns längst wieder im Griff hat. Könnten wir nicht auch so einen Trostbrief gebrauchen im sechsten Monat seit Beginn der Corona Pandemie, aktuell wieder steigenden Infektionszahlen und dem Ausharren auf einen Impfstoff?

Mir begegnen viele Menschen, die haben Sorge vor dem Herbst und Winter. Wir sind nicht mehr soviel draußen, das Lüften wird schwieriger und auch im Kirchenjahr kommt jetzt zunehmend eine intensive Zeit, die in der Regel sich durch höhere Besucherzahlen auszeichnet. Wie sollen wir das alles schaffen? Werde ich gesund bleiben und meine Lieben auch? Wie geht es wirtschaftlich weiter?

Wenn man dann erst einmal angefangen hat sich auf solche Gedanken einzulassen, dann kommen immer mehr von diesen Sorgen und Ängsten und sie bauen sich immer größer vor einem auf. Es scheint eigentlich unmöglich, das alles zu bewältigen. Kennen Sie solche Gedanken, kennen Sie diese Verzagtheit auch? Ich kenne sie ganz persönlich: Wir haben als Familie unter Coronabedingungen Abschied von unserem bisherigen Lebensort und Abschnitt genommen. Das war schon nicht einfach, hatte aber auch Vorteile, weil die Beziehungen sich sowieso lösen mussten. Aber jetzt, wo die Kinder in der Schule und im Kindergarten Beziehungen knüpfen müssen, wo ich die Gemeinde nicht nur in reduzierter Form, sondern der ganzen Fülle kennenlernen und wahrnehmen möchte, ist Corona ein großes Hindernis. Da schleicht sich manchmal bei aller Neugier und Vorfreude auch Trauer und Sorge vor der Zukunft ein.

Immer will uns dieser Geist der Furcht befallen, der uns niederdrückt, um den Schlaf bringt und den Glauben lähmt. Wie gut, dass es da Worte der Heiligen Schrift gibt und Lieder und Glaubenszeugen, die uns mit ihren Worten herausreißen aus unseren trüben Gedanken. Menschen, die uns mit ihren Worten Gottes Worte übermitteln und uns neuen Mut machen, nicht nur auf uns zu schauen, sondern auf den, der alle Macht hat im Himmel und auf Erden.

Paulus erinnert Timotheus an all das, was er schon im Glauben an Jesus erlebt hat. Er ruft ihn zum Vertrauen auf Jesus auf. Solange wir mit diesem Herrn rechnen, sind wir keine armen Schlucker, die keine Chance haben, sondern wir sind Herren. Wie es Martin Luther einmal mit mutigem Glauben gesagt hat, damals lateinisch, weil er das genauso gut konnte wie deutsch: Sumus domini, domini sumus. „Wir gehören zum Herrn, darum sind wir Herren.“

Und Martin Luther King hat es so ausgedrückt, als er in seinem Kampf für die Rechte der Schwarzen oft Demütigungen und Ungerechtigkeit erfuhr: „Komme, was mag, Gott ist mächtig! Wenn unsere Tage verdunkelt sind und unsere Nächte finsterer als tausend Mitternächte, so wollen wir stets daran denken, dass es in der Welt eine große segnende Kraft gibt, die Gott heißt. Gott kann Wege aus der Ausweglosigkeit weisen. Er will das dunkle gestern in ein helles Morgen, zuletzt in den leuchtenden Morgen der Ewigkeit verwandeln.“

Als diese Glaubensboten solche Sätze gesprochen haben, war nicht schon alles vorbei. Paulus schrieb seinen Brief an Timotheus im Halbdunkel seines Kerkers, er war noch nicht freigesprochen. Martin Luther war zu jener Zeit vom Kaiser geächtet und vom Papst gebannt. Martin Luther King wurde bespitzelt, bedroht, verhaftet. Die äußere Bedrohung war noch da. Die persönlichen oder beruflichen Sorgen sind noch da. Der Corona Virus wütet noch. Aber der Geist Gottes ist auch da und der ist kein Geist des Jammers und der Mutlosigkeit, sondern ein Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.

Dieser Vers ist mir in meinem Beruf und in meiner Seelsorge zu einem Leitvers geworden. Gottes Geist hat Kraft. Er ist stärker als der Geist der Angst und der Trauer. Er ist ein Geist der Liebe, der den anderen bedingungslos annimmt und das Böse nicht zurechnet. Und er ist ein Geist der Besonnenheit. Besonnen ist, wer sich besinnt. Besinnt auf seine Lebens- und Glaubensgrundlagen. Besonnen ist, wer sich darauf besinnt, dass er bei allen Herausforderungen Geschöpf und nicht Schöpfer ist. Besonnen ist, wer sich darauf besinnt, dass er trotz mancher Niederlagen und Sünde doch ein erlöstes Kind Gottes ist. Besonnen ist, wer dieser Welt und dem eigenen Leben in seiner Vergänglichkeit nicht das letzte Wort zukommen lässt, sondern dem auferstandenen Christus, der dem Tod die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat wie es unser Predigttext sagt.

Dieser Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit nimmt die Angst. Als die Jünger an Pfingsten Gottes Geist empfingen, haben sie den Schlüssel der verschlossenen Tür wieder rumgedreht, die Türe aufgemacht und sind rausgegangen. Sie haben nicht mehr ängstlich und verschämt von ihrem Glauben geschwiegen, sondern sie hatten die innere Freiheit, darüber zu reden. Sie waren stolz auf ihren Herrn und haben andere mit ihrem Glauben angesteckt.

Warum sind wir denn ängstlich? Warum schämen wir uns unseres Glaubens? Warum graut uns vor der Zukunft? Wenn wir doch zu dem Herrn gehören, der dem Tod die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht hat. Nochmal: Sumus domini, domini sumus. „Wir gehören zum Herrn, darum sind wir Herren.“

Wenn wir das für uns festhalten, dann sind wir gehalten und geborgen mitten in aller gefühlten Angst. Auch wenn die Coronabedrohung noch da ist, der Beruf uns weiter Sorgen macht, die Operation noch vor uns liegt oder der Zukunftsweg der Kinder unklar ist. Wir dürfen unsere Aufgaben Stück für Stück anpacken in dem Vertrauen, dass unser Herr uns zur rechten Zeit genau so viel Hilfe und Kraft schenken wird, wie wir brauchen.

Wir sind eingeladen, nicht angstgesteuert zu leben, sondern dürfen kindlich vertrauen: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln!“ Das ist eine Tatsache, die im Glauben zur Gewissheit wird. Unsere Zweifel wollen uns das immer wieder nehmen. Das Wort Gottes gibt uns diese Geborgenheit immer wieder zurück. Nicht so, dass wir uns das für alle Zukunft sichern könnten. Es gibt nicht den Glauben auf Vorrat. Er will immer neu gelebt werden, in jeder neuen Bedrohung, in jeder neuen Situation. Glaubensgewissheit gibt es nicht auf Vorrat.

Aber wir dürfen unserem Herrn zutrauen, dass er alles tun wird, was nötig ist um uns durch die vor uns liegenden Aufgaben und Bedrohungen durchzubringen. Wir haben keinen Grund uns zu schämen für diesen Herrn, sondern allen Grund ihn zu bekennen und zu bezeugen vor der Welt und vor den Menschen um uns herum.

Amen.