Septuagesimä, 09.02.2020, Matthäus 20, 1-16

Gnade sei mit euch und Friede, von Gott dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. - Wir bitten in der Stille um den Segen Gottes für diese Predigt: …Herr, wir bitten dich um Heiligen Geist zum Reden und zum Hören. Amen.

Bevor ich den heutigen Predigttext lese, möchte ich Sie vorwarnen. Mit diesem Gleichnis von Jesus könnte man jeden Workshop einer Gewerkschaftstagung aufmischen. Auch in Schulklassen gab es jedes Mal heftige Diskussionen über das Verhalten der Personen, die da vorkommen.

Man muss allerdings aufpassen bei der brisanten Geschichte, die da erzählt wird, dass man den ersten Halbsatz nicht vergisst, der deutlich macht, worum es Jesus geht. Jesus will mit diesem absurden Gleichnis aus der Arbeitswelt etwas über das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit mitteilen. Ja, letztlich geht es ihm darum, mit der abstrusen Geschichte das unglaubliche Wunder der vergebenden Gnade bewusst zu machen.

Aber bevor wir weiter darüber nachdenken erst einmal das Gleichnis, so wie es Jesus erzählt hat. Es steht beim Evangelisten Matthäus im 20. Kapitel.

Jesus sprach:“ Das Himmelreich gleicht einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. Und als er mit den Arbeitern einig wurde über einen Silbergroschen als Tagelohn, sandte er sie in seinen Weinberg.

Und er ging aus um die dritte Stunde und sah andere arbeitslos auf dem Markt stehen und sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was Recht ist. Und sie gingen hin.

Noch einmal ging er aus um die sechste und um die neunte Stunde und tat dasselbe. Um die elfte Stunde aber ging er aus und fand andere und sprach zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag untätig da? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand eingestellt. Er sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg.

Als es nun Abend wurde sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn und fang an bei den Letzten bis zu den Ersten. Da kamen die um die elfte Stunde eingestellt waren und jeder empfing seinen Silbergroschen.

Als aber die ersten kamen, meinten sie, sie würden mehr empfangen; aber auch sie empfingen ein jeder seinen Silbergroschen. Und als sie den empfingen, murrten sie gegen den Hausherrn und sprachen: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die wir des Tages Last und Hitze getragen haben!

Er antwortete aber und sagte zu einem von ihnen: Mein Freund, ich tue dir nicht Unrecht. Bist du nicht mit mir einig geworden über einen Silbergroschen? Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem letzten dasselbe geben wie dir. Oder habe ich nicht Macht, zu tun, was ich will, mit dem, was mein ist? Ärgerst du dich, dass ich so großzügig bin? So werden die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein.

Mit dem letzten Satz kommt Jesus wieder zum Anfang zurück. Zum Himmelreich. Ja, im Himmel können einmal auch solche, die es erst ganz zuletzt in ihrem Leben begriffen haben, dass Gott sie braucht und ruft, die Ersten sein.

Denken Sie mal an der Verbrecher der neben Jesus gekreuzigt wurde. Ein Krimineller, ein Mörder vermutlich, der erst am Tag seines Todes angefangen hat zu glauben, dass Jesus etwas für ihn tun kann. Angesichts seines bevorstehenden Endes gehen dem seine Schuld und sein verpfuschtes Leben auf. Er bekennt sich schuldig und traut Jesus zu, dass er selbst am Kreuz festgenagelt, noch etwas für ihn tun kann. Und – so unglaublich es ist - er bekommt die Zusage, dass er sofort nach seinem Tod mit Jesus im Paradies sein wird.

Der war so ein Letzter, der zu einem Ersten wurde. Ich bin mir sicher, dass er im Himmel zu denen gehört, die ganz nah bei Jesus sein dürfen. Ja, selbst große Sünder werden einmal im Reich Gottes nah bei Jesus sein, wenn sie noch die Kurve gekriegt und die unverdiente Gnade Gottes angenommen haben.

Weil das so ist, hat man früher zu solchen, die zum Tod verurteilt waren, als letzten Besuch vor ihrer Hinrichtung den Priester oder Pfarrer geschickt. Man brachte damit zum Ausdruck: Wenn du auch dein Lebensrecht in dieser Welt und in unserer Gesellschaft verwirkt hast, so sollst du trotzdem noch die Möglichkeit haben, zum ewigen Leben zu gelangen. Solche, zu Recht oder zu Unrecht zum Tod verurteilten, hatten die Möglichkeit, noch in der letzten Stunde ihres Lebens ihre Schuld zu bekennen, Vergebung zu bekommen und als Begnadigte vor den Thron Gottes zu treten.

Auch wenn das im Extremfall so möglich ist, sollte es doch niemand berechnend darauf ankommen lassen. Die Lebens- und Sterbensgeschichten der meisten Menschen zeigen, dass eine solche Umkehr in letzter Stunde bei vielen nicht mehr gelingt.

Im Gleichnis kommen ja auch noch andere vor. Da sind die, die den ganzen Tag sich für den Weinberg, also die Sache Gottes einsetzen und den Willen des (Guts)Herrn vom frühen Morgen an, also von Kindheit oder Jugend an tun wollen. Und andere, die „Mittags“, also in der Mitte des Lebens, dem Ruf in den Weinberg Gottes folgen.

Ich kenne nicht wenige Eltern, die durch ihre Kinder zum lebendigen Glauben gekommen sind. Die Kinder hatten auf einer Freizeit eine Wiedergeburt erlebt und ihr Leben dem Herrn Jesus anvertraut und sie haben so lange für ihre Eltern gebetet und geredet und sie eingeladen, bis sich die keineswegs frommen Eltern schließlich doch mit der Sache befasst haben und dann auch zum lebendigen Glauben gekommen sind. Da waren sie vielleicht schon 47 oder 54 Jahre alt.

Und es gibt tatsächlich in seltenen Fällen auch mal 70- oder 80-Jährige, die noch so offen sind, dass sie das Wort Gottes noch auf der letzten Teilstrecke ihres Lebensweges annehmen. Sie erkennen ihr bis dahin gottloses Leben als große Schuld vor Gott, bitten um Vergebung und ergreifen sie auch im Glauben. Sie nehmen Gottes Gnade noch für sich an.

Das Gleichnis sagt nun, dass Gott in all diesen Fällen am Ende keinen Unterschied macht. Er sagt nicht zu dem, der sich erst mit 50 zu ihm bekehrt hat: Du musst erst noch ein paar Millionen Jahre warten, bis du in den Himmel darfst. Er verfügt auch nicht, dass der nur in den äußeren ganz entfernten Teil des himmlischen Reiches darf. Nein Gott sagt (2.Mose 33,19+Römer 9,15): Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.

Im Hebräerbrief(10,35)steht der dringende Rat: Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat. Der Lohn, um den es beim Gottvertrauen geht, ist immer die volle Gnade, das ganze Heil, das Himmelreich.

Die zuletzt dazu kamen im Gleichnis, nehmen staunend und dankend den vollen Lohn, den ganzen Denar. Ihnen wird diese unverdiente Gnade groß und die Güte des Herrn erfüllt sie ganz. – Aufpassen müssen die anderen, die von Anfang an dabei waren, dass sie sich über diese Liebe Gottes, die unverdient belohnt, nicht empören und auflehnen.

Die Botschaft dahinter: Wir sollen niemanden aufgeben oder für das Reich Gottes abschreiben, schon gar nicht ausgrenzen, weil er nicht in unser frommes Denken passt oder anders gekleidet ist, andere Musik hört oder mit seinen Tattoos und Piercings nicht in unser Bild passt. Wenn der oder die Morgen den Ruf Gottes hört und annimmt, ist für ihn oder sie dieselbe Gnade da wie für uns. Die Tür geht auf und zwar ganz.

Leider geschah und geschieht es immer wieder, dass die altgedienten Christen das nicht fassen können und zusätzliche Bedingungen oder Einschränkungen haben. Ein Pfarrer machte einen Hausbesuch bei einer alten Dame. Sie ist freundlich und sozial engagiert mit einem Herzen für die Nöte anderer. Aber in den Gottesdienst kommt sie nie. Der Pfarrer fragt, woran das liegt. Sie erzählt: Als Kind kam sie aus ärmlichen Verhältnissen. Der Vater war im Krieg, die Mutter konnte nur für das Allernötigste sorgen. Die Tochter ging in den Gottesdienst. Gerne hätte sie etwas anderes angezogen, aber sie hatte kein schönes Kleid. Am Ende des Gottesdienstes kam eine Frau auf sie zu und sprach sie mit ernster Miene an: Kind, tu mir einen Gefallen, komm nie wieder in den Gottesdienst in so einem schäbigen Aufzug! Dem Kind schießen die Tränen in die Augen. Sie schämt sich. Seitdem hat sie nie wieder freiwillig einen Gottesdienst besucht.

Vor Gott ist kein Ansehen der Person. Er sieht das Herz an. Seine Liebe ist so groß, dass er alle immer wieder ruft und einlädt. Der Weinbergbesitzer im Gleichnis macht sich insgesamt fünfmal auf, um weitere Mitarbeiter für die Ernte zu gewinnen. Selbst als es sich schon fast nicht mehr lohnt.

Als die kurz vor Feierabend im Weinberg ankommen, sagen die anderen: Was wollt ihr denn? Jetzt brauchen wir euch auch nicht mehr. – Ein böser Satz! Aber wie oft wird er gesprochen oder gedacht: Jetzt brauchen wir euch – jetzt brauche ich dich auch nicht mehr.

Und als diese letzten dann vor aller Augen gar noch den vollen Lohn bekommen und die anderen nicht den doppelten, da ist das Maß voll und sie machen ihrem Ärger Luft. Sie lassen ihr Denken erkennen: Wir sind viel besser. Wir haben doch mehr geleistet. Also haben wir auch mehr Lohn verdient.

Jesus macht mit diesem unrealistischen Gleichnis klar: Es geht nicht um das, was wir verdienen – wer kann sich schon den Himmel verdienen? - , sondern um das, was Gott aus seiner Liebe heraus schenkt. Er will alles geben, was wir zum Leben, zum Ewigen Leben, brauchen.

Erschütternd ist eigentlich die vergleichende Grundhaltung derer, die länger gearbeitet haben. Sie berechnen sofort, dass ihr Lohn höher sein müsste, als der der letzten Arbeiter. Diese „ich bin besser“-Haltung zerstört jede menschliche Gemeinschaft und erst recht jede christliche Gemeinde.

Niemand hat den Himmel verdient. Es ist immer geschenkte Gnade, unverdiente Gerechtigkeit, wenn ich mit dabei sein darf.

Ich habe dieses Gleichnis am Anfang meiner Predigt absurd genannt. Warum? - Weil ja kein Arbeitgeber und kein Weinbergbesitzer so vorgehen würde. Es ist so wie in manchen anderen Gleichnissen auch: Am Anfang scheint es sich um eine alltägliche und normale Geschichte zu handeln. Die Zuhörer können sich die Situation gut vorstellen. Aber im weiteren Verlauf wendet sich dann die Sache und es wird menschlich unrealistisch oder zumindest sehr ungewöhnlich. Manchmal sind auch bewusst provozierende Sätze enthalten.

Jesus ist ja kein Arbeitsrechtler, kein Unternehmensberater und auch kein Sozialwissenschaftler. Er ist Botschafter der Liebe Gottes. Er lädt ein zu neuem Denken, zu einem Leben mit Ziel, mit Hoffnung, mit Erwartungen. Er öffnet jedem die Tür zum Leben. Er schließt nicht aus

Es geht nicht um Lohngerechtigkeit, sondern um geschenkte Gerechtigkeit. Das Gleichnis ist nicht für Arbeitgeber erzählt, auch nicht für die Arbeitswelt, sondern für solche, die überlegen, ob sie sich auf den Glauben einlassen sollen einerseits und für altgediente Gläubige andererseits.

Die einen sollen dazu eingeladen werden, den Schritt endlich zu tun, auch wenn sie den größten Teil ihres Lebens ohne Gott gelebt haben. Es lohnt sich! Für sie steht immer noch die ganze Gnade bereit. Die anderen sollen sich nicht für besser halten und nicht meinen sie hätten doch den Lohn und die Gnade Gottes verdient. Sie sollen niemanden ausgrenzen oder aufgeben, egal wie alt oder wie verpeilt er ist. Allen gilt, was Manfred Siebald im Sinne des Gleichnisses in ein schönes Lied gefasst hat:

Es macht einer schon früh und ein andrer erst spät von dem Angebot Gottes Gebrauch.
Mancher wartet zu lange, bis es nicht mehr geht,
warte nicht, sonst verpasst du es auch.
Gott öffnet jedem die Tür, jedem, der in fragt.
Er nimmt die Schuld und gibt Liebe dafür,
denn er hat es uns gesagt.

Verfasser: Martin Schöppel, Dr.-Martin-Luther-Str.18, 95445 Bayreuth, Tel. 0921/41168