4. Sonntag nach Epiphanias, 29.01.17 Matthäus 14, 22-33

Gnade sei mit euch und Friede, von Gott, dem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. In der Stille beten wir…

…Herr, wir bitten dich, erhöre uns. Amen.

Das Schriftwort für die Predigt steht im 14.Kapitel des Matthäusevangeliums in den Versen 22-33:

Und alsbald drängte Jesus die Jünger in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe. Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein. Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen.

Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst! und schrien vor Furcht. Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!

Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir zu dir zu kommen auf dem Wasser. Und er sprach. Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, hilf mir! Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?

Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!

In diesen Tagen kann man ja ganz gut übers Wasser gehen. Nach der langen Frostperiode ist nicht nur der Röhrensee zugefroren, sondern auch größere Seen, wie der Fichtelsee und die mittelfränkischen Seen. Sogar über die Donau bei Vilshofen kann man zu Fuß gehen – weil eine ausreichend dicke Eisdecke trägt.

Aber wie war das damals am See Genezareth? Die Jünger fahren mit dem Boot, der See ist stürmisch, der Wind bläst so stark und genau gegen ihre Fahrtrichtung, dass sie rudern können wie sie wollen und sie kommen nicht voran. Sie sind erschöpft und je höher die Wellen werden umso größer wird ihre Angst. Es ist dunkel unter den schweren Wolken und in ihren furchtsamen Herzen. Sie, sie wären nicht die Ersten und nicht die Letzten die nachts in diesem unberechenbaren See umkommen. Schon vielen ist er zum Verhängnis geworden  und Jesus ist auch nicht im Boot, dass er, wie damals dem Sturm und den Wellen gebieten könnte. Aber was ist das? Ist da nicht eine Gestalt, kaum zu sehen in der Finsternis? Ein Geist? Ein Gespenst? Oder ist es Jesus? Es sieht so aus, als liefe er auf der Wasseroberfläche, als käme er auf sie zu. Das kann doch nicht sein! Angst und Entsetzen wollen übermächtig werden.

Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!

Das ist die Stimme, die wir im Blick auf Jesus immer wieder hören dürfen. In jeder Nacht, in jedem Sturm, in jeder hoffnungslosen Lage, in jeder Not, in jeder Angst: Sei getrost, ich bin’s; fürchte dich nicht! Jesus kommt sicher auf den Wellen, die uns zu schaffen machen. Und wer auf ihn sieht, auf seine Worte hört, bei dem muss die Angst weichen.

So wie hier bei Petrus. Er ist mal wieder der Erste, der die Sprache wieder findet und den Lebensmut. „Wenn du es bist, Herr, dann befiehl mir zu dir zu kommen auf dem Wasser.“ Petrus sieht auf Jesus, verliert die Angst und weiß, mit Jesus kann auch ich auf dem Wasser laufen, auch wenn es nicht gefroren ist. – Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen (Ps 18,30), Hindernisse überwinden, Mächten widerstehen, Verluste ertragen, über meinen Schatten springen Verfolgung verkraften, mein Leben einsetzen.

Jesus ruft den Petrus tatsächlich. „Na dann komm!“ Und Petrus steigt über Bordwand des Bootes, setzt den Fuß aufs Wasser und es trägt ihn. - Noch ein paar Schritte nur und er wird bei Jesus sein. – Aber da packt ihn eine kräftige Windbö und drückt ihn zurück. Petrus spürt die Gewalt des Sturms, seine eigene Ohnmacht, erschrickt vor seiner Verwegenheit und spürt wie der See unter ihm nachgibt.

Da ist sie wieder die Angst, noch viel heftiger und mächtiger als vorher. Er schreit zu Jesus: „Herr, hilf mir!“ – Das ist der alles entscheidende, der rettende Schrei: „Herr hilf mir!“ Was uns auch bedroht, was uns runterzieht, was uns Angst macht. Der Schrei befreit: „Herr Jesus, hilf mir doch!“ – Und schon streckt sich die Heilandshand aus und fasst zu. Und du hörst seine Stimme: Ich bin doch bei dir! Warum ist dein Glaube so klein? Ich lass dich doch nicht umkommen! Um diese befreiende Zusage geht es in dieser Geschichte.

Wie oft ist diese nächtliche Szene missverstanden worden. Vernunftgläubige Kritiker blieben an dem, auf dem Wasser laufenden Jesus hängen. Das kann nicht sein, sagten sie, weil es gegen die Gesetze der Physik steht. Und sie sprachen dem, der Blinde sehend und Taube hörend macht, dem der Tote auferweckt und der selbst vom Tod aufersteht seine göttliche Macht ab. - Wer Jesus so klein macht, dem kann er keine Hilfe sein. Den kann er nicht aus dem Sog der Angst und aus den Klauen der Verzweiflung befreien. Es geht hier nicht um eine naturwissenschaftliche Frage, sondern um die Wirkung von Glaube und Zweifel.

Martin Luther hat dazu einmal gesagt (1538 (WA 38, 581, 10-17):

„Sowohl Zweifel als auch Glaube verändern alles. Der Glaube macht das Meer zu einem trockenen Weg, der Zweifel aber verwandelt diesen trockenen Weg für Petrus wieder in gewöhnliches Meer. So sagt Markus (9,23) „Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ Hingegen sind alle Dinge unmöglich für den, der da zweifelt. Hier muss man besonderen Nachdruck auf das Wort zweifeln legen, denn viele denken vom Glauben sehr verächtlich und meinen, das Zweifeln sei nichts Böses.

Christus hingegen gibt dem Zweifel die gesamte Schuld und macht deutlich, dass ein Zweifler versinkt, wenn er nicht zum Glauben zurückkehrt und dadurch denselben (Jesus) um Hilfe bittet und schreit. Denn allein das Zweifeln ließ Petrus sinken, und andererseits richtete der Glaube an Christus ihn wieder auf und führte ihn hinaus. Hätte er am Zweifeln festgehalten, so hätte er nicht rufen können: „Herr, hilf mir!“ Denn das sind nicht die Worte eines Zweiflers, sondern die eines glaubenden Menschen. Ein Zweifler ruft Gott nicht um Hilfe an, sondern fällt in Verzweiflung und Schweigen.“

Luther stellt hier zu recht fest, dass der Hilferuf des Petrus nicht ein Ruf des Zweifels, sondern ein Ruf des Glaubens ist. Vielleicht eines kleinen und schwachen Glaubens. Der Ruf eines angefochtenen Glaubens, aber doch der Ruf des Glaubens. Denn wer nicht glaubt, wendet sich nicht an Jesus mit seinem Hilferuf.

Petrus erlebt: Er, Jesus ist da, wenn ich ihn brauche. Seine Hand hält mich fest und lässt mich nicht los, wenn auch starke Kräfte mich runterziehen wollen. Wenn ich ihn um Hilfe anrufe dann steigt er zu mir in das schwankende Boot. Und dann hat der Sturm seine Macht verloren und die Wellen werden weniger.

Die Geschichte vom sinkenden Petrus ist keine Angstgeschichte, sondern eine Mutmachgeschichte: Schau hin, so ist unser Herr. Er ist da, wenn es darauf ankommt. Er hält dich fest und hilft dir heraus. Er begleitet dich durch alle Stürme und Wellen, wie sie auch heißen mögen. Und es kommen immer wieder dunkle Wolken. Auch Jesus streitet das nicht ab. Er sagt (Joh 16,33): In der Welt habt Ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Der Weltüberwinder und Todesbezwinger, sollte der nicht auch mit deiner und meiner Not fertig werden? Jesus sucht keine Glaubenshelden, sondern er sucht nach Kleingläubigen, nach solchen, die erkannt haben, dass ihr Glaube armselig ist und dass er sie nicht vorm Sinken schützen kann. Und wenn er dann irgendwo so einen Kleingläubigen rufen hört: „Herr, hilf mir!“ dann ist er da, dann greift seine starke Hand zu, dann zieht er uns aus dem Sog.

Detlev Kranzmann, Mitarbeiter der Christlichen Versammlung und in ganz Deutschland unterwegs mit dem „Mobilen Treffpunkt“ (rollendes Straßen-Café), erzählte von einem Erlebnis bei dem ihm die starke Hand Jesu besonders deutlich wurde:

Das Telefon klingelt. Am anderen Ende ist mein Arbeitskollege: „Ich bin an Lungenkrebs erkrankt. Schon seit einer Woche kann ich nichts essen. Flüssigkeit kann ich auch nicht bei mir behalten. Wir werden uns nicht mehr sehen. Ich will mich von dir verabschieden.“

„Aber doch nicht am Telefon“, antworte ich, „wir werden uns ins Auto setzen und in zwei Stunden sind wir bei dir.“

Während der Fahrt zum Kranken sind meine Frau und ich sehr bedrückt. Wie werden wir ihn antreffen? Was sagt man im Angesicht des Todes? Wir beten: „Herr Jesus, wir haben Angst vor der Begegnung und wissen nicht, was wir sagen sollen. Schenk uns die richtigen Worte.“

Wir treffen den Kranken innerlich gefasst an. Neben ihm liegt ein vergrößertes Liedblatt. „Der Pastor hat mich heute Morgen besucht und hat mir von dem Liedblatt die Strophen vorgesungen.“ Das Lied stammt von der 30-jährigen Krankenschwester Helga Winkel. Sie hat es gedichtet, als sie selber unheilbar erkrankte:

Herr, weil mich festhält deine starke Hand, vertrau ich still.
Weil du voll Liebe dich zu mir gewandt, vertrau ich still.
Du machst mich stark, du gibst mir frohen Mut,
ich preise dich, dein Wille, Herr ist gut.

Herr, weil ich weiß, dass du mein Retter bist, vertrau ich still.
Weil du für mich das Lamm geworden bist, vertrau ich still.
Weil ich durch dich dem Tod entrissen ward,
präg tief in mich, Herr, deine Lammesart.

Herr, weil du jetzt für mich beim Vater flehst, vertrau ich still.
Weil du zu meiner Rechten helfend stehst, vertrau ich still.
Droht mir der Feind, so schau ich hin auf dich,
ein Bergungsort bist du, o Herr, für mich.

Ist auch die Zukunft meinem Blick verhüllt, vertrau ich still.
Seitdem ich weiß, dass sich dein Plan erfüllt, vertrau ich still.
Seh ich nicht mehr, als nur den nächsten Schritt,
mir ist’s genug, mein Herr geht selber mit.

(c.Diakonissenmutterhaus Aidlingen)

Detlev Kranzmann schließt seinen Bericht: „Wir singen das Lied. Nachdem wir miteinander gebetet haben, verabschieden wir uns in dem Wissen, es gibt ein Wiedersehen bei Gott im Vaterhaus. (aus: „Leben ist mehr“, Impulse für jeden Tag, 2006, S. 12)

Die starke Hand Jesu hält fest auch in so extremen Situationen. Wie viel mehr dürfen wir uns in unserem Alltag darauf verlassen. Vergessen Sie es nicht, was auch vor Ihnen liegt oder welchem Sturm, welchen Wellen, welcher Dunkelheit Sie auch ausgesetzt sind: Es ist die starke Hand Jesu, die Sie festhält und nicht untergehen lässt. Verlassen wir uns nicht auf uns selbst oder auf Menschen, sondern auf ihn unseren Heiland.

Zum Schluss noch einmal Martin Luther mit einem Gebet, das wir uns zu Eigen machen dürfen:

„Herr, ich weiß sehr wohl, dass ich selbst nicht ein Stückchen meines täglich nötigen Brotes beschaffen oder erhalten noch mich vor irgendwelchem Unglück bewahren kann. Darum will ich’s von dir erwarten und erbitten, wie du mir geboten und mir zu geben versprochen hast, weil du doch meinen Gedanken zuvorkommst und dich meiner Not annimmst. Amen.“

(aus Wochenpredigten über Matth. 5-7, 1530/32, vgl. WA 32, 419, 20-35)


Verfasser: Martin Schöppel, Pfarrer, Dr.-Martin-Luther-Str.18, 95445 Bayreuth, Tel. 0921/41168