Predigt: Mt.27, 33-54 am Karfreitag, 29.03.2024

33 Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, 34 gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und als er's schmeckte, wollte er nicht trinken. 35 Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. 36 Und sie saßen da und bewachten ihn. 37 Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König. 38 Und da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. 39 Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe 40 und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! 41 Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: 2 42 Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben. 43 Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. 44 Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren. 45 Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. 46 Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? 47 Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. 48 Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. 49 Die andern aber sprachen: Halt, lass sehen, ob Elia komme und ihm helfe! 50 Aber Jesus schrie abermals laut und verschied. 51 Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. 52 Und die Erde erbebte und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf 53 und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen. 54 Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!

Liebe Gemeinde, unter dem Kreuz kommt es noch einmal zu einer ganz entscheidenden und abschließenden Erkenntnis über Jesus. Sie heißt: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen.“ Aber es ist keiner der Nachfolger von Jesus, der zu dieser Erkenntnis kommt, auch keiner der jüdischen Theologen, die zum Hinrichtungsplatz Golgatha gekommen waren. Ausgerechnet ein römischer Hauptmann, ein Heide, ein völlig Außenstehender spricht aus, was er auf einmal mit allen Konsequenzen verstanden hat: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen.“

Wir stellen uns neben den Hauptmann und beschäftigen uns zuerst einmal mit den Umständen, die ihn an den Ort des Geschehens brachten.
Ein Hauptmann, Centurio genannt, war bei den Römern der Anführer einer Hundertschaft von Soldaten. Es war damals üblich, dass bei jeder Hinrichtung immer auch ein Hauptmann dabei sein musste. Auf dem Dienstplan für Freitag stand für den römischen Centurio die Exekution von zwei Terroristen, die den Römern schon viel Schaden zugefügt hatten. Erst kurz nach Dienstbeginn erfuhr er, dass noch ein Dritter dazugekommen war. In einem gerichtlichen Eilverfahren war Jesus von Nazareth, auch als „König der Juden“ bekannt, in den frühen Morgenstunden zum Tod durch Kreuzigung verurteilt worden. Der Centurio zog daher mit einigen seiner Soldaten und den drei Todeskandidaten los in Richtung Hinrichtungsstätte. Nach vollzogener Kreuzigung war es seine Aufgabe, die Gekreuzigten zu bewachen und auch unter den Schaulustigen, die sich versammelt hatten, für Ordnung zu sorgen. Der Römer tat nur seine Pflicht. Befehl war Befehl. Es ist nicht anzunehmen, dass er viel über Jesus, den König der Juden wusste oder sich für diesen Mann am Kreuz interessierte. Es war für ihn zunächst nur eine Routineaufgabe, die er auszuführen hatte.
Was der römische Centurio auch nicht wusste, war die Tatsache, dass Gott selbst alles, was auf dem Hinrichtungsplatz Golgatha geschah, von langer Hand bis ins Detail vorbereitet hatte. Sogar solche Nebensächlichkeiten, wie z.B. die Tatsache, dass Soldaten sich um das Gewand von Jesus streiten würden, hatte seine Bedeutung und war von Gott genau geplant worden. Der römische Hauptmann mit seinen Soldaten war genauso Teil des göttlichen Plans, wie die Gruppe der Spötter, die dastanden und sich über Jesus lustig machten. Für den Centurio und die meisten anderen traf der erste Satz, den Jesus am Kreuz sprach, ganz exakt zu: „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

Der Centurio wusste nicht, was er tat. Wie konnte er es auch wissen. Wie konnte er etwas von dem einzigartigen Rettungsplan Gottes wissen, den Gott sich schon vor der Schöpfung der Welt überlegt hatte? Wie konnte er wissen, dass er selbst auch zu diesem Plan gehörte? Wie sollte er eine Ahnung davon haben, dass Gott ihn liebte und sich nach ihm eine Beziehung zu ihm sehnte? Wie sollte ihm bekannt sein, dass Jesus, der dort am Kreuz hing, für ihn sterben musste, damit er zu Gott kommen konnte?

Bald wurde deutlich, dass es unter dem Kreuz zwei verschiedene Gruppen gibt. Die einen waren die Vertreter der führenden politischen und religiösen Kreise unter den Juden. Die andere Gruppe bestand aus dem Centurio und einiger seiner Soldaten. Die einen verhalten sich gegenüber Jesus voller Spott und Hohn. Die anderen, vor allem der Hauptmann, fangen an zu erkennen, wer Jesus wirklich ist. Schon jetzt, im Augenblick des Sterbens von Jesus sollte deutlich werden, dass die Begrenzung des Heils auf das jüdische Volk durchbrochen wird. Der römische Centurio unter dem Kreuz, der erkennt und bekennt, wer Jesus wirklich ist, wird zum ersten Vertreter der heidenchristlichen Gemeinde. Was den römischen Hauptmann, mit dem wir uns beschäftigen, tief bewegte, waren die Ereignisse im Zusammenhang mit dem Tod von Jesus am Kreuz. Was ist da nicht alles passiert? Schauen wir es uns noch genauer an:

Als Jesus starb überhäuften sich die Ereignisse. Es geschahen unheimliche und erschütternde Dinge, die diesen Freitag in Jerusalem zu einem ganz und gar einzigartigen Tag in der Weltgeschichte machten. Diese Dinge bewegten den Centurio unter dem Kreuz zutiefst. Und was dort geschah, war mit Botschaften verbunden. Es war eine klare Sprache Gottes, die allerdings verstanden werden musste.

Das erste Ereignis: Von 12 Uhr mittags bis drei Uhr nachmittags ging das Licht aus. Am hellen Tag legt sich eine tiefe Finsternis über die ganze Stadt. Jesus hatte gesagt: „Ich bin in die Welt gekommen als ein Licht, damit, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe“ (Joh 12,46). Wenn Jesus, das Licht der Welt stirbt, geht das Licht aus. Es wird dunkel und die Gottesfinsternis macht sich breit. Finsternis steht auch für Kampf. Wenn es auf Golgatha am Mittag Nacht wird, heißt das: Jesus kämpft gegen seine Feinde. Jesus besiegt den Teufel mit seinem ganzen Heer der Finsternis.

Das zweite Ereignis: In dem Augenblick, in dem Jesus stirbt, erschüttert ein gewaltiges Erdbeben die Stadt. Dieses Erdbeben ist das Zeichen der Gegenwart Gottes. Das hatten Mose und Elia in ihrer Gottesbegegnung am Sinai erlebt. Was nicht Niet und Nagel fest ist, wird erschüttert und stürzt ein. Vor dem Zorn Gottes kann niemand bestehen. Andererseits schloss Gott am Sinai vor der Hintergrundkulisse eines Erdbebens mit seinem Volk einen Bund. Er redete mit Mose und dem Volk. So als wollte er sagen: Selbst wenn alles erschüttert wird und ins Wanken gerät. Ich bleibe unerschütterlich treu. Meine Worte stehen fest. So wird deutlich: Auf Golgatha zeigt sich der Zorn Gottes. Aber am Kreuz wird auch ein Bund geschlossen. Dort werden Worte gesagt, die für immer gelten. Es gibt Vergebung: „Vater vergib ihnen.“ Es gibt Hoffnung über den Tod hinaus: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“ Und es gibt völlige Geborgenheit: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist“.

Das dritte Ereignis: Durch das Erdbeben entstanden Risse in den Felsen. Gräber wurden aufgesprengt. Nach der Auferstehung des Sohnes Gottes gibt es bereits eine ganze Reihe von Überläufern aus dem Tod ins Leben.

Das vierte Ereignis: Aus dem Tempel wird berichtet, dass der Vorhang im Heiligtum plötzlich in der Mitte zerrissen ist. Es gibt jetzt keine Abtrennung mehr zwischen dem allerheiligsten Bereich in dem die Bundeslade stand und dem profanen Bereich. Jesus macht den Weg frei. Auf einmal konnte jetzt jeder den Weg zu Gott einschlagen.

Durch diese vier Ereignisse beim Tod von Jesus: Finsternis, Erdbeben, Auferstehungen, zerrissener Vorhang kommt der Centurio zur entscheidenden Erkenntnis: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen.“
Diese Erkenntnis kommt nicht automatisch. Sie ist nicht selbstverständlich. Am Kreuz von Jesus scheiden sich die Geister. Die einen tappen weiterhin im Dunkeln. Sie bleiben bei ihrem Spott. Die anderen sind tief erschüttert. Es dämmert ihnen. In ihrem Leben rückt Jesus ins Zentrum. Das Kreuz ist für sie die entscheidende Koordinate geworden, von der aus sie ihr ganzes Leben neu ausrichten. Was für eine Erkenntnis: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen.“ Das weiß der Römer nicht von sich selbst. Das hat ihm nicht Fleisch und Blut offenbart. Das hat ihm Gott gezeigt. Gott bestätigt durch einen heidnischen Hauptmann das Bekenntnis, das Jesus selbst vor dem Hohen Rat abgelegt hatte. Jesus ist Gottes Sohn. Aber mit dieser Erkenntnis bleibt der Centurio nicht im neutralen Bereich. Er ist innerlich tief betroffen. Er erschrickt sehr, als er das Erbeben sah und alles was im Zusammenhang mit dem Tod von Jesus geschah.

Liebe Gemeinde, unter dem Kreuz von Jesus gibt es keinen neutralen Bereich. Da muss ich mich entscheiden. Erkenne ich Jesus als Sohn Gottes an, als meinen persönlichen Retter und Heiland? Oder eben nicht. An diesem Punkt gilt: Jesus ganz oder gar nicht. Karfreitag ist kein Kuscheltag, da geht es um harte Fakten.
Ich formuliere eindeutig: Was habe ich getan? Ich habe Jesus umgebracht. Meine Sünden sind es, die ihn ans Kreuz gebracht haben. Meine Gottvergessenheit, mein Unglaube, meine Lieblosigkeiten, mein Egoismus haben ihn ans Kreuz gebracht. Kannst Du dem zustimmen?
Was hat Jesus für mich getan? Er hat für mich alle diese Schmerzen ausgehalten. Er ist für mich gestorben. Da kann ich nicht mehr gleichgültig sein und drauflos sündigen, wenn ich sehe, was es ihn gekostet hat. Da muss ich darum bitten, das Jesus mich verändert und nach und nach erneuert zu einem neuen Menschen. Danach muss ich mich ausstrecken. Kannst Du dem zustimmen?
Was muss ich tun? Nichts, außer ihm ganz und gar Vertrauen schenken. Möchtest Du das tun? So antworte jetzt in deinem Herzen: Ja, das will ich tun. Du machst Jesus die größte Freude damit, denn dann hat sein Sterben wirklich einen Ewigkeitssinn auch für dich.
Ich beende diese Predigt mit zwei Liedstrophen aus EG 81, 7.9- 10: Herzliebster Jesu:
„Ach großer König, groß zu allen Zeiten, wie kann ich g’nugsam solche Treu ausbreiten? Keins Menschen Herz vermag es auszudenken, was dir zu schenken.
Ich werde dir zu Ehren alles wagen, kein Kreuz nicht achten, keine Schmach und Plagen, nichts von Verfolgung, nichts von Todesschmerzen nehmen zu Herzen.
Weil’s aber nicht besteht in eignen Kräften, fest die Begierden an das Kreuz zu heften, so gib mir deinen Geist, der mich regiere, zum Guten führe“ (J. Heermann).

Amen

Verfasser: Pfarrer Friedemann Wenzke, Dr. Martin Luther Str. 18, 95445 Bayreuth, Tel: 0921/4168; E-Mail: friedemann.wenzke@elkb.de